Schwamm drüber
März 2013: Vom eigenen Lernen lernen

Je länger ich unterrichte, je länger ich Lerngelegenheiten für andere schaffe, desto genauer wird mir bewusst, wie ich selber lerne und immer gelernt habe und dass es dabei Aspekte gibt, die eine zentrale, aber auch solche,die eine untergeordnete Rolle spielen. Ich lernte und lerne ja fast ständig, wie jeder Mensch. Ich lernte in der Schule, oder eher für die Schule, jedenfalls empfand ich das häufig so, lernte während des Studiums, hier aber ganz klar für mich und meist mit Begeisterung, lernte, wie man Velo fährt, lernte für die Fahrprüfung, lernte etwas kochen, lernte viele Jahre später Englisch, um für den Immersionsunterricht gewappnet zu sein, erlernte Techniken, die die Lehr- und Lernforschung empfiehlt, lerne gerade eben einige mir bisher unbekannte fachliche Dinge im Rahmen eines Buchprojekts. Lernen ist ein Vorgang, der mich das ganze Leben über begleitet.

Was spielte und spielt dabei eine untergeordnete Rolle? Sicherlich die Klassengrösse oder die Grösse meiner Lerngruppe. Natürlich auch die Uhrzeit, zu der ich lerne und lernte, obwohl es da zweifellos persönliche Vorlieben gibt, nicht aber Zeiten, zu denen mein Hirn nicht arbeiten würde. Nebensächlich ist auch, ob ein Computer zugegen ist oder nicht. Es war und ist auch einerlei, ob ich das neue Wissen frontal vermittelt bekomme oder mittels Lernmaterialien, jedenfalls dann,wenn beides gut gemacht ist.

Was hingegen immer eine zentrale Rolle spielte und spielt, ist meine ganz eigene Auseinandersetzung mit den Stoffen, dass ich mir die Frage ganz klarmachen kann, dass ich mir bewusst werden kann, was ich schon weiss und kann und was noch nicht und woran das genau liegt, dass ich meine eigenen Misskonzepte überwinden kann, dass ich die neuen Erkenntnisse nachvollziehen, den erhellenden Weg aus eigener Kraft gehen kann, dass ich mir beim Bearbeiten von Transferaufgaben Bestätigungen und Erfolgserlebnisse holen kann, kurz: Eine zentrale Rolle bei meinem eigenen Lernen spielen Dinge, die ganz bei mir selber liegen. Der eigentliche Lernprozess ist sehr privat.

Schülerzentriert und lehrergelenkt
Wenn ich nun wieder als Lehrperson denke, so heisst das: Ich muss Lerngelegenheiten schaffen, die den Jugendlichen genau das ermöglichen. Sie sollen sich dem Stoff mit guten Fragen nähern können. Sie sollen sich bewusst werden,was sie schon können und was noch nicht. Sie sollen auf ihrem bisherigen Vorwissen aufbauen können. Sie sollen allfällige Fehlvorstellungen aktiv umarbeiten können. Sie sollen Gelegenheiten bekommen, sich selber Erklärungen zurechtzulegen. Sie sollen Erfolgserlebnisse haben und ihre Fertigkeiten testen können. Sie sollen sich klar werden, wo auf dem Lernweg sie sich gerade befinden. Das sind die zentralen Punkte und nicht äusserliche, materielle Dinge. Die Rolle der Lehrperson ist also von enormer Wichtigkeit, denn solche Lerngelegenheiten zu schaffen, ist alles andere als einfach. Und das eben Gesagte wird ja auch von der bekannten Hattie-Studie gestützt, der wohl umfangreichsten Studie zur Unterrichtsqualität überhaupt, wonach guter Unterricht schülerzentriert sein muss, weil es ja um das eigene, private Lernen geht, und aber auch stark lehrergelenkt, weil nur die Lehrperson das nötige Knowhow hat, um dafür die richtigen Lernumgebungen zu kreieren. Mir scheint, ich kann für mein Lehren viel von meinem Lernen lernen.