Schwamm drüber
Juli 2012: Die 2/3-Regel – Vergessen Sie es!

Bestimmt kennen Sie die 2/3-Regel schon. Oder etwa… Wie bitte? Sie kennen diese Regel nicht? Wie kann das sein? Sie ist so fundamental und unverzichtbar, dass man sich höchlich wundern muss, wenn jemand… Ich muss gestehen, dass ich sie bis gerade kürzlich auch nicht kannte. Seither hat sie aber mein Leben verändert. Bestimmt brennen Sie nun darauf, die Regel auch zu erfahren; aber gemach! Beginnen wir ganz von vorne.

Ich war kürzlich unfreiwilliger Zeuge eines Gesprächs. Lehrerin A beklagte sich im Lehrerzimmer darüber, dass ihre Schüler scharenweise den Fehler begangen hätten, die Wurzel einer Summe als Summe der Wurzeln der einzelnen Summanden zu bilden. Sie hatten also etwa die Wurzel aus 16+9 so gezogen, dass sie erst die Wurzel aus 16 (also 4) und dann die Wurzel aus 9 (also 3) gebildet und die beiden Teilresultate zu 7 addiert hätten, obwohl es natürlich 5 geben sollte. Das ist ein mathematisches Verbrechen, denn die Formel √(a+b)=√(a)+√(b) stimmt fast immer nicht. (Setzen Sie zum Spass weitere Zahlen ein, um sich zu vergewissern.)

Lehrer B, der sich diese Klage anhörte, liess sofort Belehrungen auf A niederprasseln: Das Problem sei eben, dass man nichts Falsches anschreiben dürfe, seine Analysen hätten das ganz klar gezeigt. Würden die Schüler einen falschen Weg sehen, so würden sie sich in ihrer selektiven Wahrnehmung oft gerade dieses Falsche einprägen. So erreiche man das Gegenteil dessen, was man eigentlich wolle. Wichtig sei vielmehr, die richtige Lösung – und nur diese – so oft auf die Klasse einzuprügeln, bis man sicher sei, dass es jeder gehört habe. Das sei überhaupt der einzige gangbare Weg.

Auf Irrwegen zum Erfolg
Damit verhält es sich wie mit vielen Aussagen, die laut und vehement vorgetragen werden: Sie werden dadurch nicht richtiger. Mögliche Fehler zu thematisieren, kann sogar überaus lehrreich sein. Gerade kürzlich hat eine Studie der Vanderbilt-Universität in Nashville nachgewiesen, dass Schüler, die dazu aufgefordert werden, falsche mit richtigen Lösungen zu vergleichen und die Falschheit der falschen zu begründen, einen deutlich höheren Lernerfolg haben. Indem Lernende aktiv erklären, weshalb gewisse Vorgehensweisen falsch und andere richtig sind, machen sie sich den Stoff wirklich zu eigen. Das blosse Anhören einer Lehreraussage löst niemals denselben Akt von aktiver Auseinandersetzung aus.

Was das mit der 2/3-Regel zu tun hat? Das lässt Ihnen keine Ruhe? Nun ja, verständlich. Das Geheimnis soll also endlich gelüftet werden: Die Analysen von Lehrer B hatten nämlich noch mehr Brauchbares geliefert, unter anderem die Regel, dass Lernende immer genau zwei Drittel dessen in sich aufnehmen und behalten, was die Lehrperson erklärt. Würde zum Beispiel die falsche Wurzelrechnung unter diese zwei Drittel fallen, die Erklärung der Falschheit aber unter das restliche Drittel, so wäre wirklich ein grosser Schaden angerichtet. Und eben darum dürfe man nie etwas Falsches thematisieren. Ach, das wussten Sie noch nicht? Dann habe ich nur einen Rat für Sie: Vergessen Sie die Regel schnell wieder. Denn sie stimmt hinten und vorne nicht.