Schwamm drüber
Mai 2012: Fragen über Fragen

Ich: «Für wen ist es nicht nachvollziehbar? Ich
meine jetzt im Ernst?»
Alice: «Wieso im Ernst?»
Ich: «Nein, das hast du gesagt, ich zitiere nur.»
Alice: «Was denn?»
Ich: «Was du gesagt hast: Für wen ist es nicht nachvollziehbar? Ich meine jetzt im Ernst?»
Alice: «Im Ernst?»
Ich: «Ja, natürlich. Und hast du da erwartet, dass alle die Hand heben, denen es nicht nachvollziehbar ist? Und das auch noch im Ernst?»
Alice: «Ich kann das nicht nachvollziehen.»
«Im Ernst?», fragte ich lachend, «ich glaube, wir reden aneinander vorbei.»

Alice und ich sassen im Café und besprachen ihre Lektion von heute Morgen, der ich beigewohnt und die ich zu beurteilen hatte. Im Zentrum stand die Frage, was für Fragen aus welchen Gründen nicht empfehlenswert sind.

Ich: «Nehmen wir ein anderes Beispiel. Einmal hast du in die Klasse gefragt: ‹Ist alles klar›? David, ein Schüler, hat dann genickt, und ganz offenbar hast du das registriert, denn du hast ‹Super› gesagt und dabei ganz zufrieden ausgesehen.»
Alice: «Und das ist nicht gut?»
Ich: «Na ja, das kommt etwas auf die Umstände an, aber meistens nicht. Das Einzige, was du nun sicher weisst, ist, dass David glaubt, es verstanden zu haben, Du weisst aber nichts über die anderen und auch nichts darüber, ob David es wirklich verstanden hat. Könnte er es wirklich selber erklären? Es kann sein, dass es alle verstanden haben, vielleicht sogar alle ausser David, aber du weisst einfach nichts darüber.»
Alice: «Im Ernst?»

Alles klar?
Ich: «Ja, klar, um wirklich in Erfahrung zu bringen, ob etwas klar ist oder nicht, müsste man alle Lernenden einladen, anspruchsvolle Fragen zum Inhalt zu beantworten, die so gemacht sind, dass sie nur diejenigen vollständig beantworten können, denen alles klar ist. Und aus den Antworten aller Lernenden kannst du nicht nur genau herauslesen, ob es David und den anderen klar ist, sondern eben auch, welche Misskonzepte noch immer vorhanden sind, die man nun bekämpfen muss. Daraus lernst du sehr viel mehr über die Art und Weise, mit der die Jugendlichen mit den neuen Stoffen umgehen. Alles klar?»
Alice: «Ja, alles klar. Und habe ich weitere ungünstige Fragen gestellt?»
Ich: «Ja. Einmal hast du gefragt: ‹Möchte jemand ein Fazit hören?›, um gleich darauf ein perfektes Fazit zu formulieren.»
Alice: «Darf ich mal raten!? Da stecken gleich zwei Fehler drin. Erstens: Ich sollte nicht fragen, ob jemand ein Fazit hören will, ich sollte es fest einplanen.»
Ich: «Korrekt!»
Alice: «Zweitens: Das Fazit sollte nicht die Lehrperson machen.»
Ich: «Das ist ein perfektes Fazit. Im Ernst: Es soll ja Lehrer geben, die vor allem sich selber gerne reden hören, aber dort lernen die Jugendlichen in der Regel nicht viel. Und natürlich ist es sehr viel einfacher, selber eine brillante Erklärung zu geben, als sich auf allfällige Schwächen einer Schülerformulierung einzulassen. Und doch bringt das Zweite enorme Vorteile, weil du eben in Erfahrung bringst, wie die Lernenden mit den neuen Inhalten umgehen. Ist das nachvollziehbar? Ich meine jetzt im Ernst?»
Alice lachte. «Ja, im Ernst, alles klar.»