Schwamm drüber
Mai 2012: Spinatsondermülldeponien

Meine Mutter hatte es von meiner Grossmutter gelernt. Ich selber habe es von meiner Mutter gelernt und fleissig weiter erzählt: Einmal gekochten Spinat sollst du nicht mehr aufwärmen, denn er ist giftig. Ich hatte es nie verstanden und nie empirisch überprüft, aber ich hatte es gelernt – und in der Folge Gebirge von Spinat weggeworfen, weil ich ihn, obwohl es mein Lieblingsgemüse ist, nicht aufwärmen durfte. Wenn Sie je von hochgiftigen Spinatsondermülldeponien hören sollten, so bin ich wahrscheinlich deren Verursacher. Der Mensch lernt immer wieder Dinge, die er nicht selber überprüft und oft auch gar nicht selber verstanden hat. Man kann ja auch bei weitem nicht alles verstehen, und ganz sicher hat man nicht die Zeit, alles zu überprüfen, und leider ist das Gehirn beim Lernen überhaupt nicht wählerisch, es lernt auch von Quellen, die alles andere als zuverlässig sind. Dass einmal aufgewärmter Spinat giftig ist, haben Tausende Menschen von Quellen gelernt, die nicht zuverlässig sind, und trotzdem hat es sich eingeprägt und wird fleissig weitererzählt.

Zuverlässigere Quellen haben aber nachgewiesen, dass es falsch ist: Bei der Messung 48 Stunden nach dem ersten Kochen und zweimaligem Erwärmen steigt der Nitritgehalt des Spinats sprunghaft an – auf 0,4 Gramm pro Kilogramm. Ein Säugling könnte sich daran tatsächlich vergiften. Doch dieser Wert gilt nur für den warm gelagerten Spinat. Der kühl gelagerte Spinat bleibt selbst zwei Tage nach dem ersten Kochen geniessbar – zumindest, was den Nitritgehalt angeht. Im kühl gelagerten Spinat bleibt der Nitritgehalt so niedrig wie am Tag zuvor.

Bei «Weisheiten» wachsam sein
Auch im Zusammenhang mit Lehren, Lernen und Unterrichten gibt es Dinge, die sich einprägen und fleissig weitererzählt werden und trotzdem falsch sind. Beispiele gefällig? Man hörte und hört oft, dass bei kleineren Klassengrössen das Lernen verbessert werde. Das stimmt aber nicht. Wie gut Dinge gelernt werden, hängt von der Professionalität der Lernumgebung ab. Ist diese nicht gegeben, helfen auch kleinere Klassen nicht. Pointierter: Schlechter Unterricht bleibt auch in Kleinklassen schlecht, und bei gutem Unterricht ist es kaum von Belang, wie gross die Klasse ist.

Ein anderer Irrtum, der sich hartnäckig hält, ist, dass es gute und schlechte Methoden gibt und dass etwa individualisierter Unterricht prinzipiell besser ist als frontaler. Das stimmt aber nicht generell. Guter Frontalunterricht kann mehr bewirken als schlechter individualisierter. Die Frage ist vielmehr, welche Methode in einer bestimmten Unterrichtssituation am besten geeignet ist, bei den Lernenden einen aktiven Konstruktionsprozess auszulösen. Und das kann immer wieder eine andere Methode sein.

Ein weiterer Irrtum ist, dass das Gehirn sich unspezifisch trainieren lässt, wie man etwa durch fast jede körperliche Betätigung den Körper unspezifisch trainieren kann, um Herz und Kreislauf zu stärken. Darum haben die Menschen Sudokus und alle Arten von Gehirnjogging erfunden. So gerne man so etwas auch für den Kopf hätte, der Wunsch ist leider unerfüllbar. Lernen ist immer inhaltsspezifisch, man lernt also genau das, was man tut. Allgemein wird das Gehirn dadurch aber nicht auf ein höheres Level der Fitness gehoben. Seien wir also wachsam bei Aussagen, die man seit Generationen tradiert; sie brauchen deswegen nicht richtig zu sein.