Schwamm drüber
November 2011: Der führerlose Schneepflug

«Um Fisch zu garen, füllt man den Behälter bis zur Marke 5 mit Wasser, schliesst die Tür, drückt Knopf 1 auf Stellung 4 und stellt am Timer 20 Minuten ein.» Packend, nicht wahr!? Wer wäre nicht unmittelbar fasziniert von solchen Ausführungen? Nun, niemand erwartet von der Gebrauchsanweisung eines Dampfgarers, spannend, überraschend und herausfordernd zu sein, eine Lektion aber sollte das nach Möglichkeit sein. Umso betrübter war ich nach einer Lektion, der ich kürzlich beiwohnte und die es an Trockenheit mit jeder Gebrauchsanweisung mühelos aufnehmen konnte.

Die Lehrerin – nennen wir sie Frau X – wirkte von Beginn weg uninspiriert und einschläfernd. Schlimmer noch: Sie stellte nicht ein einziges Mal eine interessante Frage. Das Thema, das zu unterrichten sie eingeladen worden war, wurde von ihr lieblos abgehandelt, und nie liess sie Spannung aufkommen, nie zauberte sie mit etwas Unerwartetem Erstaunen in die Augen der Jugendlichen, nie sorgte sie mit Herausforderungen für befriedigende Erfolgserlebnisse.

All diese Aspekte hätte das Thema aber zweifellos geboten. Hat Frau X schon einmal einen guten Film gesehen oder ein packendes Buch gelesen und nachvollzogen, wie dort Spannung aufgebaut und gedehnt wird? Wie der Regisseur Überraschungen vorbereitet? Wie das Finale inszeniert wird? Die Schülerinnen und Schüler sassen geduldig in ihren Stühlen, wurden aber nie kognitiv aktiviert, nie in Tätigkeiten involviert, durch die sie neue Erkenntnisse gewonnen hätten. Die Lehrerin sagte immer alles selber, lud nicht ein einziges Mal zum Nachdenken ein, schuf nie einen Anlass für Diskussion.

«Sind so weit Fragen?»

Nach dem Verabreichen der Gebrauchsanweisung stellte Frau X die schlechteste aller Fragen: «Sind so weit Fragen?» Erwartungsgemäss meldete sich niemand zu Wort. Wie soll man auch eine Frage zu einem Problem stellen, über das man selber noch nie nachgedacht hat? Und dann zog Frau X den verhängnisvollen Schluss, dass die Jugendlichen nun alle könnten, was sie unterrichtet hatte, und fuhr fort. Wie aber soll man können, was man sich nie selber erklärt und zu eigen gemacht hat? Warum hängen einige Lehrpersonen noch immer dem Irrglauben an, dass die Jugendlichen etwas können, bloss weil sie es ihnen erklärt haben?

Ich musste während der ganzen Lektion an eine führerlose Schneeräummaschine denken, die rücksichtslos durch Wege und Gärten pflügt und den Schnee achtlos um sich schleudert, bis alles unter drückenden Haufen zugedeckt ist. Nicht unähnlich schleuderte Frau X ihr Wissen über die Köpfe der Schülerinnen und Schüler, und dort drückte es nun, weil es teils unverstanden war, und weil es die Jugendlichen nicht mitgeformt hatten, schwer auf deren Stimmung. Die einzige interessante Frage der Lektion hatte Sarah, eine Schülerin, gestellt. Und Frau X hatte keine Sekunde gezögert, sie mit ihrer Antwort zu ersäufen.

Raphael, ein Schüler, meinte nach der Lektion, es hätte wohl keinen Unterschied gemacht, ob sie, die Schülerinnen und Schüler, anwesend gewesen wären oder nicht. Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Solcher Unterricht darf einfach nicht mehr Alltag an unseren Schulen sein!