Schwamm drüber
Oktober 2011: Geschüttelt oder gerührt?

Kürzlich erfuhr ich von einer Schulklasse, die all ihren Lehrpersonen eine Petition zukommen liess mit dem folgenden Wortlaut: «Wir, die Klasse XY, empfinden den Lärmpegel in gewissen Fächern als zu hoch, was unserer Konzentration und unserem Lernerfolg abträglich ist. Wir würden es begrüssen, wenn die Lehrpersonen auf unsere Aufforderung hin härtere Massnahmen ergreifen würden. Wer zum zweiten Mal den Unterricht stört, wird unverzüglich und ohne Diskussion aus der Stunde verwiesen. Wir hoffen, dass sich dadurch das Arbeitsklima und unsere Leistungen verbessern, was gleichsam wohl auch zu einem besseren Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern führen wird.»

Als ich die Petition las, wusste ich nicht, ob ich geschüttelt oder gerührt sein sollte. Der Vorstoss war durchaus rührend und zeugte von der ernsthaften Absicht der Jugendlichen, vom Unterricht möglichst viel zu profitieren. Andererseits schüttelte mich der Gedanke, dass es für die Lehrpersonen dieser Klasse offenbar nicht eine Selbstverständlichkeit war, für die gewünschte konzentrierte Atmosphäre zu sorgen, und wie peinlich es war, dass Schüler ihre Lehrer dazu erst auffordern mussten. Gleichzeitig warf die Petition natürlich auch ein Licht auf die gespenstische Tatsache, dass die Jugendlichen offenbar die Verantwortung für ihr eigenes Handeln an die Lehrkräfte delegierten, aber das war immerhin mit dem Hinweis teilweise erklärbar, dass es eben Jugendliche und dass nicht sie die Fachleute für Klassenführung sind.

Die Voraussetzung fürs Lernen

Es stellt sich die Frage, weshalb Lehrpersonen zum Teil nicht die ruhige und konzentrierte Lernatmosphäre sicherstellen, ohne die Lernen so viel beschwerlicherist? Und die vielleicht trefflichste Antwort lautet: Weil das nicht so einfach ist!

Eine Minderheit von Lehrpersonen würde wohl entgegnen, dass ein gewisses Mass an «Tumult» im Unterricht durchaus erwünscht sei, weil Jugendliche sich austauschen und abreagieren müssen und weil «es sonst nicht lebt». Aber solchen Lehrpersonen muss man in Erinnerung rufen, was der Hauptzweck der Schule ist, nämlich dass Jugendliche in wenigen Jahren Leistungen nachvollziehen und schätzen lernen und Kenntnisse sich aneignen, zu deren Entwicklung die Menschheit Jahrtausende benötigte. Dazu aber sind professionelle Lernumgebungen nötig, und diese wiederum bedingen eine Atmosphäre, wie sie in der Petition zu Recht gefordert wird.

Andere werden wohl beipflichten und betonen, wie schwierig und aufreibend und kräftezehrend es sein kann, die Jugendlichen immer aufs Neue zu ermahnen, immer aufs Neue zu begründen, weshalb die in der Petition geforderten Bedingungen erstrebenswert sind. Und diese Leute haben Recht. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Ein Klima, in dem man sich ohne Ablenkung und wenn möglich gern einer einzigen neuen Sache widmen kann, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass das Lernen in den Köpfen aller Beteiligten stattfinden kann. Ich möchte geradezu eine Petition an alle Lehrpersonen richten, nämlich die Petition, die obige Petition ernsthaft umzusetzen.