Schwamm drüber
Botschaften mit Augenzwinkern rüberbringen

Bild Armin P. Barth

Armin P. Barth, Mathematiklehrer und Buchautor, ist der neue Kolumnist auf der hintersten Seite von BILDUNG SCHWEIZ. Unter dem Motto «Schwamm drüber» rückt er Erfahrungen aus dem Schulalltag ins Licht und wischt mit einem Augenzwinkern drüber.

Armin P. Barth, Sie unterrichten an der Kantonsschule Baden Mathematik, Sie sind aber auch Buchautor und schreiben regelmässig Kolumnen für Zeitungen und Zeitschriften. Sind Sie nun ein wortgewandter Zahlenmensch? Oder ein «unberechenbarer » Schriftsteller?
Armin P. Barth: Ich habe immer beide Aspekte verfolgt. Als junger Mensch konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich nun Mathematiker oder Schriftsteller werden wollte; aus diesem Grund bin ich vielleicht beides geworden. Mein Hauptgenuss liegt darin, über Mathematik zu schreiben. Und dies auf eine Art und Weise, so dass möglichst viele Leute Freude empfinden und interessante Einsichten gewinnen können. In diesem Sinne kann ich die zwei Seelen in meiner Brust verbinden.

«Ereignis Unterricht» ist der Titel eines Ihrer Bücher. Welches Ereignis aus Ihrer Schulzeit ist Ihnen in nachhaltiger Erinnerung?
 Es bleiben einerseits die ganz schlechten, abschreckenden, andererseits die speziell guten Erlebnisse in Erinnerung. Über die meisten habe ich in meinen Büchern auch geschrieben. Ich kann ein paar aufzählen: Die sechsjährige Gymnasialzeit war geprägt von einem katastrophal schlechten Deutschlehrer, bei dem ich nichts gelernt habe. Ich glaube, wir haben kein einziges Buch gelesen. Er war ein unberechenbarer Egomane, den die Schüler kaum interessierten. Manchmal explodierte er ohne für uns ersichtlichen Grund. Ich erinnere mich aber auch an einen Mathematiklehrer, der mich entscheidend beeinflusste bei meiner Studienwahl. Er war in jeder Hinsicht ein «grosser » Mensch, allein schon in seiner Erscheinung, aber auch hinsichtlich seiner Themenbreite und der Tiefe, mit der er uns sein Wissensgebiet näher brachte. Dies hat mich als 13-Jähriger tief geprägt und fasziniert.

Womit konnte er denn ganz konkret die Jugendlichen packen?
Aus heutiger Sicht würde er vielleicht gar nicht unbedingt als guter Lehrer gelten, bei dem viele Schüler möglichst viel lernten. Es war mehr die Art und Weise, wie er Querverbindungen zu aussermathematischen Themen schaffen konnte. Anders gesagt: Er war nicht einfach ein Formalist, der uns beigebracht hat, wie man Brüche addiert oder mit Algorithmen jongliert, sondern spürbar machen konnte, was Mathematik für ein vielschichtiges Gebiet mit einer philosophischen Tiefe ist. Das hat vielleicht nicht alle im gleichen Masse angesprochen. Aber ich hatte von Haus aus ein gewisses natürliches Flair für Mathematik und war somit intrinsisch motiviert und empfänglich für seine Botschaften.

Sie schreiben in den kommenden Ausgaben von BILDUNG SCHWEIZ die Kolumne unter dem Motto «Schwamm drüber». Was erwartet die Leserin/den Leser in Ihren Kolumnen?
Sicher nichts theoretisch Abgehobenes, sondern Beispielshaftes aus dem Lehreralltag, Aufhänger und wichtige Informationen zum Lehrberuf, von denen sich viele Lehrpersonen angesprochen fühlen können. Meine Kolumnen werden wohl auch die einen oder anderen Ratschläge aus meinen 25 Jahren Unterrichtstätigkeit enthalten, weil ich auch andere davon profitieren lassen möchte. Didaktische Theorien werde ich aber nicht aufstellen; die erachte ich für den Alltag als nicht sonderlich nützlich. Mein Ziel ist es, persönliche Erlebnisse und wichtige Botschaften leicht lesbar und mit einem Augenzwinkern verbunden an den Leser zu bringen.

«Schwamm drüber» meint ja unter anderem «halb so schlimm, vergessen wir es», «verziehen, vergeben!» – Ein Gegensatz zum Unterricht in der Schule, der ja, nach Ihrer Ansicht, so konzipiert sein soll, dass er eben ein Ereignis ist, das nicht so schnell verwischt. Wie kam es zu diesem Titel?  
Der Titel war eigentlich ein Vorschlag der Redaktion. Zufälligerweise ist dies jedoch ein Ausspruch, den ich selber im Unterricht häufig benutze. Und zwar in dem Moment, wo ein mathematisches Thema zum Abschluss gebracht wird. Ich frage dann jeweils meine Schülerinnen und Schüler mit dem nassen Schwamm in der Hand, ob wir das Thema verlassen können oder ob noch Fragen oder Unklarheiten bestünden. Andernfalls betrachte ich das Kapitel als abgeschlossen und verstanden und wische mit dem Schwamm über die Wandtafel. Die andere Bedeutung, die in Ihrer Frage steckt, gehört jedoch auch zum Aspekt des Lehrerseins. Fehler sind in diesem Beruf nicht immer zu vermeiden, aber man kann sie in den meisten Fällen wieder gradebiegen, im Gegensatz etwa zu einem Arzt, der bei einer Operation einen falschen Schnitt gemacht hat. Im Lehrberuf ist es nicht so dramatisch, man kann einen Fehler korrigieren und für Verständnis sorgen, indem man darüber spricht. In diesem Sinne hiesse dann «Schwamm drüber», lasst uns neu anfangen.

Über welches Ereignis aus Ihrer Lehrerkarriere würden Sie am liebsten mit dem Schwamm drüberfahren?
So spontan fällt mir nichts ein. Es gibt beim Unterrichten immer wieder Fehlentscheide; ich überfordere oder unterfordere beispielsweise Schülerinnen und Schüler oder ich erkläre etwas schlecht. Meist kann ich aber wieder zurück auf Feld eins und neu beginnen.

Unterricht zum Ereignis machen und damit die Motivation und den Lernerfolg nachhaltig gestalten, dies ist ganz kurz die Quintessenz aus Ihrem Buch. Nun kann aber wohl nicht jede Schulstunde ein Highlight sein. Die Lehrperson ist nicht immer gleich gut in Form; nicht jeder Stoff eignet sich gleich gut; die Schülerinnen und Schüler können durch ihr Verhalten eine noch so gut vorbereitete Stunde «abstürzen » lassen. Oder bieten Sie vor Ihren Klassen jeden Tag eine Show?
Da wurde ich im Zusammenhang mit meinem Buch «Ereignis Unterricht» schon ganz falsch verstanden. Unterricht als Ereignis ist keine Show, kein Feuerwerk, das der Lehrer inszeniert. Es gibt ganz tolle Lektionen, die überhaupt nicht spektakulär sind. Lernen muss sich in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler abspielen und nicht im Hirn der Lehrperson. Ich selber habe Unterricht jedoch häufig so erlebt, dass der Lehrer ins Zimmer kam und sagte: Heute behandeln wir die quadratische Gleichung. Dann schrieb er einen Titel an die Wandtafel und unterstrich ihn zweimal. Es folgte eine Definition und dann erläuterte er den Lösungsweg. Nachher erhielten wir ein Übungsblatt. Das mag sogar funktioniert haben, aber für viele Schüler ist dies nicht motivierend und sie lernen entsprechend wenig dabei. Ein gutes Ereignis beginnt beispielsweise mit einer anregenden Frage, möglichst aus der Praxis. Damit lassen sich die Schüler entfachen und ich rege sie zum Mitdenken an. Die Fragen sollen spannend und lösbar sein, vielleicht im Sinne einer Knacknuss. Im Prozess des miteinander Denkens und miteinander Erarbeitens findet sich die Lösung oder es entstehen neue Fragen. Selbstverständlich gibt es auch den Übungsteil. Aber auch dabei kann sehr viel Spektakuläres in den Köpfen der Schüler passieren.

 «Ich schreibe mir die Wut über Erlebnisse und Zustände, die mich ärgern, von der Seele», sagten Sie anlässlich einer Lesung aus Ihrem Buch «Trautheim» vor einigen Jahren. Worüber ärgern Sie sich heute?
Eigentlich über wesentlich weniger als früher. Das Buch «Trautheim» ist über 20 Jahre alt. In jüngeren Jahren habe ich mich über alles Mögliche geärgert – im Sinne eines Weltverbesserers. Damals hatte ich auch noch stärker die Absicht, auf der literarischen Schiene zu fahren. Heute bin ich viel versöhnlicher. Schreiben bedeutet für mich ein Verarbeiten von inneren Vorgängen, im schreibenden Prozess verschaffe ich mir Klarheit über etwas. Ich möchte durch meine Texte dem Leser, der Leserin eine Thematik anregend, interessant und lehrreich näherbringen.

Jeden Monat eine Kolumne schreiben, d.h. sich immer wieder «etwas aus den Fingern saugen» – keine leichte Arbeit. Wo und wie holen Sie sich Inspiration und Material?
 In der rechten oberen Ecke meines Schreibtisches gibt es eine Ablage. Dort lege ich Ideen, Anregungen oder Gedanken als Notizen ab. So kommt nach und nach eine Sedimentation von Themen zusammen, woraus ich beliebig viele Texte erarbeiten kann. Aber auch aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und vor allem mit meinen Praktikanten an der ETH schöpfe ich viel Inspiration. Der Alltag des Lehrberufs ist vielschichtig. Man muss einfach die Augen und Ohren offen halten. Auch im Institut für Lehr- und Lernforschung an der ETH erfahre ich immer wieder interessante Sachen aus der aktuellen Forschung. Daraus versuche ich Texte mit entscheidenden Botschaften zu machen.
Interview: Doris Fischer

Armin P. Barth (49) lebt in Wetzikon, Kt.ZH. Er studierte an der Uni Zürich Mathematik und widmete sich bald auch dem Schreiben von literarischen und berufsspezifischen Texten. Heute unterrichtet er Mathematik an der Kantonsschule Baden. Ausserdem arbeitet er an der ETH in Zürich am MINT-Lernzentrum und bildet unter anderem Praktikantinnen und Praktikanten aus. Mit der Kolumne Café Mathe ist er regelmässig in der «Aargauer Zeitung» präsent. Den Leserinnen und Lesern von BILDUNG SCHWEIZ wird Armin P. Barth als Kolumnist unter «Schwamm drüber» Ernsthaftes, Witziges und Nachdenkliches aus dem Unterrichtsalltag vermitteln.