Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
28.09.2017: Nichts ist schwieriger als dividieren!
20170928

Lange Zeit galt das Mittelalter als eine im Hinblick auf die Mathematik dunkle und trostlose Periode. Der russische Mathematiker W. A. Steklov meinte einmal, im Mittelalter habe über tausend Jahre lang ein tiefer geistiger Schlaf geherrscht. Heute wird diese Zeit zwischen dem Untergang des weströmischen Reiches und der Renaissance etwas gnädiger beurteilt. Es stimmt allerdings, dass sich die Mathematik – verglichen mit der ungeheuren Geschwindigkeit ab etwa dem 15. Jahrhundert – extrem langsam entwickelt hatte; viel Wissen aus der Antike war sogar vorübergehend in Vergessenheit geraten.

Zu Beginn des Mittelalters wurden vor allem antike Werke in Klöstern bewahrt, aber nicht weiterentwickelt. Den Stand der damaligen Mathematik sieht man etwa in der Arithmetik des Boëthius (ca. 480 – 524), die weniger an Mathematik enthielt als jedes heutige Schulbuch. Beda der Ehrwürdige, ein Gelehrter des Frühmittelalters, soll gesagt haben: „Wer zu dividieren vermag, dem erscheint keine Sache als schwer. Ich kenne viele komplizierte Dinge, doch nichts ist schwieriger als das Rechnen mit gebrochenen Zahlen.“

Dennoch gab es auch Fortschritte. So entwickelten die mittelalterlichen Mathematiker (meist Mönche) die Komputistik, die Lehre der Berechnung des Osterdatums. Im christlichen Europa war die Festlegung dieses variablen Termins natürlich eine besonders wichtige Aufgabe. Gerbert von Aurillac (um 950 – 1003), der als Papst Silvester II in die Geschichtsbücher einging, erreichte in Mathematik und Naturwissenschaft einen Wissensstand, der ungewöhnlich hoch war. So lieferte er etwa in einem Brief eine ausführliche Beschreibung eines Himmelsglobus. Nicht zuletzt dank seines grossen mathematischen Wissens kursierten später allerdings Gerüchte, wonach er mit dem Teufel im Bunde gewesen sein soll. Nicolas Oresme (1323 – 1382) untersuchte zeitlich veränderliche Vorgänge und wurde zu einer Art Vorläufer der Funktionenlehre, indem er mathematische Beziehungen zwischen Geschwindigkeit und Zeit untersuchte. Und gegen Ende des Mittelalters machte der Bau von Kathedralen immer bessere Kenntnisse in Geometrie und Statik nötig.

Nikolaus von Kues (1401 – 1464) förderte die Infinitesimalrechnung, weil er sich intensiv mit der Unendlichkeit und dem unendlich Kleinen auseinandersetzte. Auch wenn man die Ecken eines Vielecks ins Unendliche vermehre, sagte er, werde es dennoch nie einem Kreis gleich sein. Und ebenso verhalte es sich mit der menschlichen Vernunft: Sie könne die Wahrheit nie vollständig ausloten; sie verhalte sich zur Wahrheit wie das Vieleck zum Kreis. Er war der Meinung, eine Konstruktion gefunden zu haben, mit der man aus einem gleichseitigen Dreieck einen Kreis mit gleichem Umfang herstellen kann (siehe Abbildung). Dazu wird der Umkreismittelpunkt M mit der Mitte (E) der Strecke DB verbunden und um einen Viertel darüber hinaus bis F verlängert. MF soll dann der gesuchte Kreisradius sein. Ist diese Konstruktion korrekt?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.