Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
04.02.2017: Frühlingsmathematik
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Schon bald drängen wieder junge zarte Blätter aus den Knoten von Ästen und Stängeln. Der Frühling stösst tausendfach aus scheinbar erfrorenem Material. Wenn man Pflanzenstängel betrachtet, so fällt auf, dass die Blätter nicht wahllos stossen, sondern nach speziellen Mustern. Schon Leonardo da Vinci soll das staunend festgestellt haben. Die regelhafte Anordnung von Blättern von Pflanzen wird Phyllotaxis genannt.

Wir richten unser Augenmerk hier nur auf die sogenannte wechselständige Blattstellung, also auf Stellungen, bei denen aus jedem Knoten nur ein Blatt wächst und die Blätter somit schraubig um den Stängel angeordnet sind. In diesem Fall stehen zwei Blätter niemals auf derselben Stängelhöhe. Dafür besteht zwischen zwei aufeinanderfolgenden Blättern oft derselbe Winkel, der sogenannte Divergenzwinkel. Beim Baum der Reisenden (Ravenala Madagascariensis) beträgt dieser Winkel zum Beispiel 180° (vgl. Abbildung oben links). Die Blätter stossen also nur in zwei Richtungen, und das dritte Blatt steht genau über dem ersten. Oft werden Blattstellungen auch als Brüche angegeben, indem man als Zähler die Anzahl Umläufe um die Stängel-Achse wählt, nach denen wieder ein Blatt direkt über dem ersten steht, und als Nenner die Anzahl Blätter, die in diese Umläufe hineinpassen. Beim Baum der Reisenden finden wir also eine Divergenz von ½.

Carl Friedrich Schimper hatte über 20‘000 Pflanzen im Hinblick auf solche Regelmässigkeiten untersucht und dabei festgestellt, dass diejenigen Divergenz-Verhältnisse besonders häufig sind, die aus Fibonacci-Zahlen bestehen, also aus Zahlen der Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, …

Erstaunlicherweise findet man in der Natur oft den Goldenen Winkel als Divergenzwinkel. Was versteht man darunter? Nun, in Analogie zum Goldenen Schnitt bestimmt man derjenigen Winkel φ, für den gilt, dass das Verhältnis vom Vollwinkel (360°) zu φ gleich gross ist wie das Verhältnis von φ zum Restwinkel 360° – φ . Löst man diese Verhältnisgleichung, so findet man den Wert φ = 222.5°. Man gibt aber meist den kleineren Winkel 137.5° an. Diesen Winkel findet man oft in den Samen einer Sonnenblume, den Schuppen eines Nadelzapfens, den Blättern eines Kohlkopfs, an vielen Palmen und Yucca-Arten und anderen Pflanzen. Da der Goldene Winkel ein irrationales Vielfaches von 360° ist, kann es nicht passieren, dass einmal zwei Blätter genau übereinander stehen. Vielleicht „wählen“ viele Pflanzen deshalb diesen Winkel, weil auf diese Weise eine optimale Ausnützung des Raumes in Bezug auf die Lichtausbeute möglich ist.

Die Abbildung unten rechts zeigt die Blattanordnung bei Kirschzweigen. Können Sie den zugehörigen Konvergenzwinkel und die Divergenz als Bruchzahl finden?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.