Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
07.01.2017: Undurchschaubare Zäune
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Zäune sind in der Politik immer wieder ein Thema gewesen, auch wieder in jüngster Zeit. Hat die Mathematik auch etwas zum Thema ‚Zäune‘ zu sagen? Nun ja, natürlich (und glücklicherweise) nichts, was sich politisch ausschlachten liesse. Stellen wir uns einmal vor, es gibt vier vollkommen flache Länder, die um ein ebenso flaches quadratisches Niemandsland angeordnet sind wie in der Abbildung links. Die Länder haben alle dieselbe Form eines Kreissegmentes, und in allen vier Ländern leben Menschen (die Punkte), die die Menschen anderer Länder nicht mögen. Die gegenseitige Abneigung ist so gross, dass der abstruse Beschluss gefasst wird, einen undurchsichtigen Zaun im Niemandsland zu bauen, der verhindert, dass irgendein Mensch eines der vier Länder irgendeinen Menschen eines anderen Landes sehen kann. Die von der Person P aus gezogenen Sichtlinien zu beliebigen Menschen anderer Länder sollen also beispielsweise alle vom Zaun unterbrochen werden.

Stellen wir uns weiter vor, in den Verhandlungen haben man beschlossen, diesen Plan möglichst günstig umzusetzen. Insbesondere soll der Zaun also so kurz wie nur möglich sein, um die Kosten tief zu halten. Wie soll der Zaun gebaut werden? Welche Form soll er haben, damit wirklich niemand eine Person in einem anderen Land zu Gesicht bekommt? Die vielleicht erste Idee besteht darin, den Zaun allen vier Seiten des Quadrates entlang zu bauen; ein solcher Zaun hätte dann Länge 4, wenn die Quadratseite 1 misst. Aber offensichtlich kann man dasselbe Ziel erreichen, wenn man den Zaun nur entlang von drei Quadratseiten baut (Abbildung rechts oben), und ein solcher Zaun wäre schon günstiger, weil er Gesamtlänge 3 hätte. Geht es noch günstiger?

Zuerst dies: Ein völlig undurchschaubarer Zaun muss alle vier Ecken des Quadrates enthalten. Wäre eine Ecke nicht enthalten, so könnten sich – Gott behüte – zwei Menschen zweier Länder, die dieser Ecke ganz nah kommen, sehen. Weiter: Jeder Zaun, der alle vier Ecken durchgehend verbindet, erfüllt sicherlich den geforderten Zweck. Denn eine Sichtlinie zwischen zwei Menschen verschiedener Länder muss zwingend zwei Ecken trennen, und darum wird sie den Zaun schneiden. Darum würde auch der Zaun in der Abbildung Mitte rechts funktionieren. Er ist ein sogenannter Steiner-Baum und hat eine Gesamtlänge von 2.732. (Die Strecken treffen sich je unter einem Winkel von 120°).

Trotzdem ist das noch immer nicht der kürzeste Zaun. Wenn man auch nicht zusammenhängende Zäune erlaubt, so erfüllt etwa der Zaun in der Abbildung rechts unten den Zweck ebenfalls. Auch hier treffen sich die Linien unter 120°. Bernd Kawohl hat 1998 bewiesen, dass es sich hierbei um den kürzesten undurchschaubaren Zaun mit genau zwei Teilstücken handelt, aber es ist bis heute unbekannt, ob es Zäune mit noch mehr Teilstücken gibt, die vielleicht eine noch kürzere Gesamtlänge haben. Da das eingangs gestellte Problem also gar nicht befriedigend gelöst werden kann, sollten die Länder vielleicht auf den Zaunbau ganz verzichten.

Die Frage aber bleibt: Welche Gesamtlänge hat denn der Zaun unten rechts?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.