Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
10.09.2016: Bitte wenden!
20160910

Kürzlich empfahl mir eine Internetseite, meine Matratze häufig zu wenden. Ein Präventologe für Schlaf (sic!) und Stress erläutert dort die richtigen Wendepraktiken und demonstriert sie in einem Video mit Hilfe eines Papierbogens, mit dem sie sich natürlich viel leichter durchführen lassen. An diesem Erlebnis möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, unbedingt teilhaben lassen, denn es steckt auch interessante Mathematik darin.

Positionieren Sie sich also am Fusse Ihres Bettes mit Blick auf das Kopfteil. Setzen wir weiter voraus, dass das Kopfteil in Richtung Nord und das Fussteil somit in Richtung Süd zeigt. Es gibt vier verschiedene Wendemanöver, die Sie mit der Matratze durchführen können, wenn sie am Ende wieder korrekt im Bettrahmen liegen soll. Sie können sie um die Symmetrieachse drehen, die genau in Nord-Süd-Richtung verläuft. Dadurch wird die Oberseite zur neuen Unterseite und umgekehrt; und wir nennen dieses Manöver L (Längs). Oder Sie können sie um die Symmetrieachse drehen, die in West-Ost-Richtung verläuft. Dadurch wird auch die Oberseite zur neuen Unterseite, aber gleichzeitig wird das Fussende zum neuen Kopfende; und wir nennen dieses Manöver Q (Quer). Drittens können Sie die Matratze um 180° um die Achse drehen, die senkrecht zur Matratze steht und durch deren Mittelpunkt führt. Dadurch bleibt die Oberseite erhalten, aber das Kopfende wird zum neuen Fussende; wir nennen diese Bewegung R (Rotation). Schliesslich können Sie die Matratze gar nicht bewegen; wir nennen diese „Bewegung“ I (Identität).

Was geschieht, wenn wir zuerst L und dann wieder L anwenden? Nun, dann wird die Matratze wieder in der ursprünglichen Position sein; statt erst L und dann L anzuwenden, hätten wir also ebenso gut I anwenden können. Wir schreiben daher kurz: L*L=I, wobei wir die Operation „*“ als das Nacheinanderausführen zweier Bewegungen verstehen. Was geschieht, wenn wir zuerst L und dann Q anwenden? Wenn Sie es ausprobieren, sehen Sie, dass es genau der Bewegung R entspricht. Wir schreiben kurz: L*Q=R (vgl. Tabelle).

Wir haben also eine Menge {I,L,Q,R} von vier „Dingen“, auf denen eine Operation * erklärt ist. Die Menge ist abgeschlossen in dem Sinne, dass das Anwenden von * auf irgend zwei dieser Dinge wieder ein Ding dieser Menge erzeugt. Zudem enthält die Menge die Identität, und jedes Ding hat eine Inverse, also eine Bewegung, die die erste rückgängig macht. Strukturen dieser Art (in denen die Operation *zudem assoziativ ist) nennt man in der Mathematik eine „Gruppe“.

Gruppentheorie ist für die moderne Mathematik sehr wichtig, denn man kann in einer einheitlichen Sprache sowohl geometrische Sachverhalte (wie etwa Symmetrien), als auch algebraische Regeln ausdrücken. Beispielsweise bilden auch die ganzen Zahlen zusammen mit der Addition eine Gruppe. Anwendungen gibt es auch in der Chemie, Physik, Kristallographie und anderen Gebieten.

Frage: Können Sie die abgebildete Tabelle unserer „Matratzen-Multiplikationen“ fertig ausfüllen?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.