Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
01.06.2016 Pyramiden und Damenvelos
20160601

Die Pyramiden von Gizeh gehören zu den bekanntesten Bauwerken der Menschheit. Rund 15 km vom Kairoer Stadtzentrum entfernt sind sie das Ziel nie versagender Touristenströme. Sie wurden vor etwa 4500 Jahren als Grabmonumente für die damaligen Pharaonen errichtet und geben bis heute immer wieder Anlass zu teils abenteuerlichen, um nicht zu sagen halsbrecherischen Spekulationen. Würde man den unseriöseren Autoren Glauben schenken, so müssten die Erbauer der Pyramiden ein so tiefes Wissen über die Welt und den Kosmos besessen haben, dass nur Ausserirdische als die wahren Bauherren in Frage kämen. Neben der Kreiszahl Pi wollen solche Autoren die Lichtgeschwindigkeit, die Gravitationskonstante, die Elektronenmasse, den Abstand zwischen Erde und Sonne und vieles mehr in den Pyramiden „entdeckt“ haben, was in der Tat erstaunlich wäre.

Dass man aber mit wilden Zahlspielereien fast zwangsläufig auf derartige „Entdeckungen“ kommen muss, hat der holländische Astrophysiker Cornelius de Jager in einer satirischen Arbeit (der „Radosophie“) eindrücklich nachgewiesen. Er hat ein typisches holländisches Damenfahrrad vermessen und darin ebenso spektakuläres Wissen entdeckt wie in den Pyramiden: Multipliziert man zum Beispiel den Lampendurchmesser mit dem Durchmesser der Klingel, zieht aus dem Produkt die Wurzel und multipliziert das Ergebnis noch mit dem Quadrat des Pedalweges, so erhält man genau 1836, also das Verhältnis der Protonenmasse zur Elektronenmasse. Und mit ähnlichen Formeln fand er im Damenvelo die Lichtgeschwindigkeit, die Gravitationskonstante, den Abstand der Erde von der Sonne und vieles mehr. Holländische Damenvelos finden also auf praktisch alle Fragen eine Antwort.

Zahlenmystik dieser Art ist weder sinnvoll noch hilfreich. Daneben gibt es aber auch seriöse Forschung, die zu Ergebnissen gelangt, die vielleicht weniger spektakulär, aber deswegen nicht weniger interessant sind. R. H. Macmillan berechnete zum Beispiel, dass wenn man das Verkleidungsmaterial (also die Mantelfläche) vorgibt, dass dann das Volumen der Pyramide maximiert wird bei einem Neigungswinkel von etwa 54° - und das ist ziemlich genau der durchschnittliche Neigungswinkel aller Pyramiden. Kann es so gewesen sein? Nun ja, man weiss, dass die Pyramidenbauer ihre Bauwerke aussen mit teurem weissem Tura-Kalkstein verkleideten, im Inneren aber billigeres Material verwendeten. Es ist also denkbar, dass das Budget für den teuren Stein begrenzt war, dass man unter dieser Bedingung aber den imposantesten Bau errichten wollte. Der Winkel könnte aber auch nur das Ergebnis raffinierter Ingenieurskunst gewesen sein.

Hier ist eine Aufgabe, die von Pyramiden inspiriert ist: Im Schaufenster eines Sportgeschäfts, zwischen zwei parallelen Glasscheiben, sind Tennisbälle gestapelt so ähnlich wie in der Abbildung, nur dass die unterste Reihe aber aus 25 Bällen besteht. Wenn der Durchmesser jedes Balls genau 6.7 cm beträgt, wie viele Bälle sind das dann und welche Höhe hat der gesamte Stapel aus Bällen?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.