Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
09.01.2016: Buchenblätter, Stents und Kleinstroboter
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Ich habe in dieser Kolumne bereits früher einmal zum Thema Origami-Mathematik geschrieben. Weil das Thema aber so faszinierend ist und ständig neue Anwendungen entwickelt werden, möchte ich es hier erneut aufgreifen, zumal sich schon bald wieder junge zarte Blätter aus Knospen schälen werden…

Inspiriert von den stark gefalteten und in kleine Knospen gepackten Blättern einer Buche hat der japanische Professor Koryo Miura eine interessante Falttechnik entwickelt, die sogenannte Miura-Faltung. Obwohl das Material in ein extrem kleines Volumen gefaltet wird, kann es ganz mühelos auf Originalgrösse aufgezogen werden, indem man lediglich an zwei Punkten zieht. Kaori Kuribayashi von der Oxford Universität hat diese Idee benutzt, um raffinierte Stents aus Nickel und Titan für verstopfte Blutgefässe zu entwickeln. Stark gefaltet wird der Stent über die Leiste ins Blutgefäss eingeführt und zu der verengten Stelle transportiert. Dort wird er aus der Transportkapsel geschoben und entfaltet sich allein nur aufgrund der höheren Körpertemperatur. Einmal entfaltet, versteift er und stützt das verengte Gefäss von innen.

In einem aktuellen NASA-Projekt („starshade“) wird Origami-Mathematik benutzt, um ein Teleskop von vierunddreissig Metern Durchmessern so raffiniert zu falten, dass es in die Rakete passt und im Raum problemlos entfaltet werden kann. Im Flugzeugbau wird sie benutzt, um Bauteile von hoher Stabilität, aber geringem Gewicht herzustellen. So wurde etwa für die Rumpfschale des neuen Airbus eine Sandwich-Konstruktion entwickelt, die 30 – 40% weniger Gewicht haben soll als herkömmliche Konstruktionen.

In Harvard und am MIT werden zurzeit hauchdünne Kleinroboter entwickelt, die sich durch Auffalten selbständig aufbauen und dann in Bewegung setzen. Inspiriert wurden sie einerseits durch Origami und andererseits durch Shrinky dinksTM, einem Kinderspielzeug aus den 70er-Jahren, bei dem bearbeitete Folien beim Heizen im Ofen stark verkleinert und stabil werden, ohne Form oder Farben zu verändern. Der Entfaltungsvorgang der Bots wird, ähnlich wie bei den Stents, durch Wärme ausgelöst, welche auf Befehl der Mikrokontrolleinheit erzeugt wird. Ist der Roboter einmal aufgebaut, lässt die Wärme nach und das Material wird robust. Die Hoffnung der Forscher ist, dass solche Miniroboter bald in der Praxis eingesetzt werden, etwa indem sie flach an unzugängliche Orte geschoben werden, wo sie sich selbständig aufbauen und ihrer Arbeit nachgehen, zum Beispiel dem Aufspüren eines Gas-Lecks.

Die Abbildung zeigt ein mathematisches Origami-Problem. Die Ecke B des quadratischen Papiers mit Seitenlänge 8 wird zum Punkt M, der Mitte der Seite DC, gefaltet. Können Sie nachweisen, dass dann die Strecke AG gerade ein Drittel der Seite AD misst?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.