Kürzlich hat mir ein guter Kollege ein mathematisches Rätsel erzählt, das sich überaus spannend und geheimnisvoll anhörte. Seine Bemerkung, es sei zur Lösung keinerlei höhere Mathematik nötig, half leider wenig. Professionell deformiert, wie ich nun mal bin, habe ich sofort versucht, mathematische Konzepte einzusetzen, die eben doch nicht ganz elementar sind, fremde Zahlsystem, Primzahlen, Modulo-Arithmetik, und so weiter. Wie sich dann herausstellte, ist die Lösung eigentlich viel einfacher. Aber darauf zu kommen, das ist die Kunst. Im Folgenden möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dieses Rätsel in leicht abgewandelter Form erzählen. Viel Vergnügen beim Raten.

Im dunklen, feuchten Kerker eines grausamen Königs sitzen mehrere willkürlich Verurteilte eine lebenslange Gefängnisstrafe ab. Draussen vor dem verriegelten Tor hockt ein sadistischer Wächter, dessen einzige Aufgabe darin besteht, mit einem Gefangenen ein Zahlenspiel zu spielen, wenn dieser das wünscht. Falls der Gefangene gewinnt, was freilich noch nie geschehen ist, wird er freigelassen, sonst aber hackt ihm der Wächter einen Finger ab. Dass einige der Insassen deutlich weniger als zehn Finger haben, zeugt von vielen gescheiterten Versuchen, die Freiheit zu erlangen.

Dies sind die Spielregeln: Der Gefangene zeigt seine Spielbereitschaft dadurch an, dass er einen Finger durch ein Loch im Tor streckt. Der Wächter ergreift den Finger und fordert den Gefangenen auf, sechs beliebige Zahlen grösser als 1 zu nennen. Dieser tut dies, und jedes Mal antwortet der Wächter mit einer neuen Zahl. Der Gefangene muss nun versuchen, die Regel zu entdecken, nach der der Wächter seine Antwortzahlen erzeugt. Die siebte Zahl nennt dann aber der Wächter, und nur wenn der Gefangene die Regel durchschaut hat und nun seinerseits mit der korrekten Zahl antwortet, wird ihm das Tor geöffnet. Und sonst …

Heute ist es wieder soweit. Ein Gefangener rafft allen Mut zusammen, geht zum Tor und streckt einen seiner acht Finger durch das Loch. Er fühlt, wie der Wächter den Finger ergreift und umklammert. Zögernd nennt er die Zahl 15. Mit seiner tiefen Bassstimme antwortet der Wächter mit der Zahl 9. Darauf nennt der Gefangene 27, und der Gefangene antwortet wieder mit 9. Auch die Zahl 51 des Gefangenen beantwortet der Wächter mit 9. Schon denkt der Gefangene, die Regel ist ja überaus einfach – und nennt die Zahl 11. Der Wächter donnert die Zahl 33 zurück. Der Gefangene ist schockiert. Entmutigt nennt er noch die beiden Zahlen 10 und 22 und erhält jedes Mal die Antwort 6.

Nun ist der Wächter an der Reihe. Seine Pranke verstärkt den Griff um den Finger, und er nennt die Zahl 65. Der Gefangene schwitzt, und sein Herz schlägt bin in den Hals. Mit welcher Zahl soll er bloss antworten? Welche Regel hat der Wächter benützt?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.