Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
07.02.2015: Ist Schnellfinger-Bobby der Mörder?

Alarmiert durch Anwohner, die Schüsse gehört haben wollen, traf die Polizei kurz vor Mitternacht am Tatort ein. Auf dem nassen Boden einer verlassenen Lagerhalle lag Edi-die-Narbe Moreno und sah ziemlich tot aus, niedergestreckt von Kugeln, die seinen Körper durchsiebt hatten. Genau um Mitternacht wurde eine Körpertemperatur von 30°C und eine Umgebungstemperatur von 20°C gemessen. Zwei Stunden später war der tote Körper bereits auf 24°C abgekühlt. Im Laufe der weiteren Untersuchungen fiel der Verdacht auf Schnellfinger-Bobby, der allerdings ein hieb- und stichfestes Alibi bis 23 Uhr hatte. Konnte er trotzdem der Mörder gewesen sein?

Die moderne Rechtsmedizin kennt verschiedene Modelle, um den Todeszeitpunkt zu berechnen; gemeinsam ist ihnen allen, dass sie auf viel Mathematik beruhen. Da wird etwa die Modellkurve der Rektaltemperaturabkühlung gebildet und verschoben oder es werden komplizierte Formeln herangezogen. Modelle sind es deshalb, weil nie alle realen Umstände mit hundertprozentiger Exaktheit bestimmt werden können. Ist zum Beispiel die Umgebungstemperatur wirklich konstant? Und wie genau ist die Abkühlungsgeschwindigkeit abhängig von der Höhe der Umgebungstemperatur? Welche Wirkung hat die Kleidung des Toten? Welchen Einfluss hat sein Gewicht? Welchen die Form des Körpers? Dennoch lassen sich mit diesen Modellen recht gute Näherungswerte berechnen. Bei der heute weit verbreiteten Henssge-Nomogramm-Methode kann der Rechtsmediziner direkt die Messwerte eintragen und aus einer fertigen Grafik den ungefähren Todeszeitpunkt ablesen. Die Mathematik bleibt ganz im Hintergrund.

Angenommen, der Kommissar in unserem fiktiven Fall wäre ein Freund des linearen Modells. Dann müsste er annehmen, dass die Temperatur sich von 30° um Mitternacht regelmässig auf 24° um 02:00 Uhr abgesenkt hat. Das ergäbe eine Temperaturabnahme von 1° alle 20 Minuten. Folglich müsste die Temperatur um 23 Uhr nur 33° betragen haben, was deutlich unter 37° liegt. Der Kommissar käme also zum Schluss, dass Schnellfinger-Bobby unmöglich der Mörder gewesen sein kann. Allerdings ist dieses Modell physikalisch falsch.

Unterstellen wir nun, dass unser Kommissar das Abkühlgesetz von Newton kennt. Es lässt sich auf einen heissen Kuchen, der aus dem Ofen kommt, ebenso anwenden, wie auf einen 37° warmen Körper, der in der Lagerhalle abkühlt. Und es besagt, dass die Geschwindigkeit der Abkühlung proportional ist zur Differenz von Körper- und Umgebungstemperatur. Ist diese Differenz gross, sinkt die Temperatur schnell ab. Je kleiner die Differenz zur Umgebungstemperatur allerdings wird, desto langsamer vollzieht sich die weitere Abkühlung. Mit diesem Ansatz würde er errechnen, dass der Körper um 23 Uhr eine Temperatur von 35.8° gehabt hat. Somit käme Schnellfinger-Bobby noch knapp als Mörder in Frage.

Was meinen Sie? Wenn man die Leiche liegen lassen würde, wann wäre sie dann auf 20° abgekühlt? Beim linearen Modell? Beim Newton-Modell?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.