Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
06.12.2014: Wie schwer ist das Rentier?

Dass es in der Mathematik Probleme gibt, die manchmal Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ungelöst bleiben, ist weiterherum bekannt. Ein 1937 von Lothar Collatz gestelltes Problem ist beispielsweise bis zum heutigen Tag ungelöst. Vor drei Jahren kamen zwar Gerüchte auf, das Problem sei von einem Hamburger Mathematiker gelöst worden, aber dann wurde bei einer Peer Review klar, dass der „Beweis“ noch Lücken aufwies. Das ist eine übliche Prozedur bei der Veröffentlichung eines Fachartikels: Der Autor reicht den Artikel bei einer Fachzeitschrift zur Prüfung ein. Diese gibt den Text einigen Expertinnen und Experten zu lesen und publiziert ihn erst, wenn keine Einwände vorgebracht werden.

Erstaunlicherweise kommt es aber auch immer wieder vor, dass Menschen eine Lösung für ein mathematisches Problem gefunden haben wollen, das bewiesenermassen unlösbar ist. Die Winkel-Trisektion ist hierfür ein schönes Beispiel. Es konnte von Pierre Laurent Wantzel im Jahr 1837streng nachgewiesen werden, dass es prinzipiell unmöglich ist, einen beliebig vorgegebenen Winkel in drei exakt gleiche Teile zu teilen, wenn hierfür nur ein Zirkel und ein nicht-skaliertes Lineal benutzt werden dürfen. Dennoch behaupten ab und zu Tüftler, die einfach nur eine Näherungskonstruktion gefunden haben, dass sie das Problem nun doch gelöst hätten. Schlimmer ist es, wenn das eine Fachzeitschrift behauptet. Vor einigen Jahren hatte ein chinesisches Mathematik-Online-Journal allen Ernstes einen „Beweis“ einer Lösungskonstruktion publiziert, und im Editorial Board der Zeitschrift wurden einige namhafte Mathematiker aufgelistet. Entsetzen und Befremden machte die Runde. Aber erst, als Kritik laut wurde, fiel auf, dass die im Editorial Board erwähnten Experten gar nicht wussten, dass sie Mitglieder dieses Boards waren. Man hatte sie dort ungefragt genannt, um dem Journal einen Anstrich von Seriosität zu geben.

Sicher nicht unlösbar ist das folgende weihnachtliche Problem: Tim, ein kleiner Junge, spielt voller Vorfreude auf das grosse Fest mit einer Apothekerwaage. Auf dem Tisch liegen Sachen bereit, mit denen der Baum dekoriert werden wird: Christbaumkugeln, Kerzen, Sterne, Mandarinen, Nüsse und in buntes Stanniol eingewickelte Schokoladenfiguren. Die Waage ist im Gleichgewicht, wenn er auf die linke Schale ein 100-Gramm-Gewicht legt und auf die rechte zwei Kugeln, zwei Kerzen und drei Sterne. Sie ist auch im Gleichgewicht, wenn er auf die linke Schale ein 100-Gramm-Gewicht legt und auf die rechte eine Mandarine, eine Nuss und einen Stern. Sie ist ebenfalls im Gleichgewicht, wenn er auf die linke Schale ein 50-Gramm-Gewicht legt und auf die rechte eine Kugel, eine Kerze, einen Stern und eine Schokoladenfigur. Und sie ist schliesslich im Gleichgewicht, wenn er auf die linke Schale eine Mandarine, eine Nuss und eine Schokofigur und auf die rechte eine Kugel, eine Kerze, einen Stern sowie sein Spielzeug-Rentier legt. Wie schwer ist das Rentier?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint am nächsten Dienstag auf der Seite Leben&Wissen.