Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
02.08.2014: Menschliche Sinne logarithmieren!
20140802

Mit einem einfachen Experiment können Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, ein Gesetz nachvollziehen, das eine interessante mathematische Aussage darüber macht, wie der Mensch Sinnesreize verarbeitet: Nehmen Sie zwei möglichst leichte und absolut identische Haushaltbüchsen und füllen Sie so viel Reis hinein, dass jede Büchse samt Inhalt exakt 200 Gramm wiegt. Nun bitten Sie eine Versuchsperson, mit verbundenen Augen je eine Büchse in jede Hand zu nehmen und zu sagen, ob beide gleich schwer sind oder ob sich eine schwerer anfühlt als die andere. Sicherlich wird die Versuchsperson aussagen, dass kein Unterschied feststellbar sei.

Nun wiederholen Sie diese Prozedur mehrmals, fügen aber einer der Büchsen jedes Mal ein zusätzliches Gramm Reis zu, ohne dass die Versuchsperson das bemerkt. Während also eine Büchse immer das Gewicht von 200 g behält, wächst das Gewicht der anderen schrittweise: 201 g, 202 g, 203 g,… Führen Sie das so lange fort, bis die Versuchsperson zum ersten Mal einen Gewichtsunterschied empfindet. Ist das zum Beispiel bei 205 g der Fall, so notieren Sie: Bei 200 g war eine Zunahme um 5 g nötig, um einen Empfindungsunterschied auszulösen.

Dann wiederholen Sie dieses Experiment, indem Sie mit immer anderen Startgewichten anfangen, zum Beispiel können beide Büchsen zu Beginn 500 g schwer sein oder 1000 g, und so weiter. Und jedes Mal notieren Sie, welche Reizänderung (Gewichtszunahme) nötig war, um bei dem Probanden einen Empfindungsunterschied zu bewirken. Wenn die nötige Gewichtszunahme und m das Startgewicht bezeichnet, so werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass das Verhältnis konstant ist, nämlich in der Nähe von 0.02. Der menschliche Sinn erkennt die Reizänderung also erst bei einer relativen Gewichtszunahme von etwa 2%; insbesondere ist bei grossem Gewicht eine viel grössere Gewichtszunahme nötig, bis die schwerere Büchse auch schwerer wirkt.

1834 untersuchte der Leipziger Physiologe Ernst Heinrich Weber, wie die menschlichen Sinne auf äussere Reize reagieren und stellt fest, dass fast immer Folgendes gilt: Ist die minimale Reizänderung, die nötig ist, um einen Empfindungsunterschied auszulösen, und ist R der Basisreiz, so ist der Verhältnis konstant. Das gilt beim Tastsinn ebenso wie bei der Helligkeitsempfindung, beim Geschmack ebenso wie beim Hören. Später hat Gustav Theodor Fechner, der Begründer der Psychophysik, das Gesetz erweitert: Menschliche Empfindungen, als Reaktionen auf Reize, arbeiten logarithmisch; bei niedriger Reizintensität reagieren wir sehr viel empfindlicher auf Reizänderung als bei hoher.

Vielleicht haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, Lust, weiter darüber nachzudenken? Fall ja: Welche Erkenntnis lässt sich mit einem Versuch wie dem abgebildeten fördern? Und wo erleben wir das Gesetz von Weber-Fechner im Alltag immer wieder?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor.