Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
05.07.2014: Anleitung für Fälscher
20140705

Börsentabellen zu lesen, ist nicht für jedermann reizvoll; wer zu Devisen, Aktien und Optionen keinen Bezug hat, wird von den Unmengen von Zahlen eher gelangweilt sein. Es gibt aber eine Sichtweise auf solche Tabellen, die für alle Menschen faszinierend sein kann: Wer nämlich Börsenzahlen trotzdem studiert, wird feststellen, dass die Zahlen, die mit der Ziffer 1 beginnen, fast immer in der Überzahl sind. Ich habe einige Kurslisten ausgezählt und gefunden, dass im Durchschnitt immer ungefähr 30% aller Zahlen mit der Ziffer 1 beginnen. Kann das Zufall sein?

Noch beeindruckender wird der Befund, wenn man weitere Listen von unsystematisch entstandenen Zahlen konsultiert: Untersucht man die Auflagen von Zeitungen, die Zahlen, die in der Bibel vorkommen, oder auch nach Sparten gelistete Ernteergebnisse eines Landes, so wird man immer feststellen: Rund 30% aller Zahlen beginnen mit Ziffer 1. Rund 18% aller Zahlen beginnen mit Ziffer 2, und die Zahlen, die mit einer 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 beginnen, werden immer seltener. Die Zahlen, die mit Ziffer 9 anfangen, machen nur noch etwa 4.5% aller Zahlen aus.

Diese Häufigkeitsverteilung der Anfangsziffern heisst Benford-Gesetz, benannt nach dem amerikanischen Wissenschaftler Frank Benford (1883 – 1948). Es besagt, dass bei Zahlen realer Datensätze, die umfangreich, nicht manipuliert und dispergiert sind, die Ziffernhäufigkeiten nicht gleichverteilt sind; sie folgen vielmehr einem logarithmischen Muster. Benford selber hatte das an über 20‘000 Daten überprüft, an Oberflächen von Seen, Einwohnerzahlen von amerikanischen Ortschaften, an Resultaten der American Football League, und so weiter. Hätte Benford schon das Internet zur Verfügung gehabt, so hätte er seine Suche massiv beschleunigen können. Wählt man nämlich eine beliebige dreistellige Zahl, etwa 739 und stellt ihr jede der Ziffern 1, 2, …, 9 einmal voran, so ergibt eine Google-Suche, dass es zu 1739 rund 20‘500‘000 Treffer gibt, zu 2739 nur noch 11‘400‘000 Treffer, zu 3739 nur noch 8‘730‘000 Treffer, und so weiter. Die abnehmende Häufigkeit kann also ganz leicht überprüft werden.

Verstehen kann man das, indem man sich fragt, was mit einem Franken geschieht, der während Jahren auf einem Bankkonto mit kontantem Zins liegt (Abbildung). Aufgrund des exponentiellen Anwachsens des Kontostandes ist der Zeitraum, in dem die Einlage einen Wert zwischen 2 und 3 hat, deutlich kürzer als der Zeitraum, in der sie einen Wert zwischen 1 und 2 hat, und so weiter. Das Benford-Gesetz ist eine Tatsache, von der gerade angehende Fälscher und Betrüger unbedingt Notiz nehmen sollten; wollen sie Bilanzen oder Steuerangaben fälschen, so sollte das unbedingt so passieren, dass das Benford-Gesetz eingehalten wird. In der Tat wurden schon öfters „kreative“ Manipulationen von Daten dadurch entdeckt, dass sie einer Häufigkeitsanalyse unterzogen worden sind.

Wenn wir schon von Zahlen reden: Wie viele natürliche Zahlen zwischen 1 und 100 (einschliesslich Grenzen) kann man maximal auflisten, so dass das Produkt all dieser Zahlen sicher nicht durch 50 teilbar ist?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor.