Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
01.03.2014: Wie Zahlen zaubern können: Fraktale

von Seline Frei *

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Wir sehen Fraktale täglich und nehmen sie doch kaum je wahr. Wolken, Blitze, Bäume, Farne, Schneesterne und Romanesco – all diese Formen und mehr folgen fraktalen Mustern. Doch erst dank dem Mathematiker Benoît Mandelbrot (1924–2010) begannen die Menschen zu verstehen, was Sie täglich sehen. Ein Fraktal ist eine Menge aus Punkten mit der Eigenschaft der Selbstähnlichkeit, das heisst, dass sich das «Muster» wiederholt und wir beim Hineinzoomen immer wieder das gleiche Bild erhalten. Würde man einen kleinen Ausschnitt des abgebildeten Fraktals stark vergrössern, so böte sich wieder dasselbe Bild, und würde man einen kleinen Ausschnitt des Ausschnitts stark vergrössern, so böte sich erneut dasselbe Bild, und so weiter. So ähnlich ist das ja auch bei Blitzen, Farnen und dem Romanesco.

Benoît Mandelbrot sagte einmal: «Wolken sind nicht perfekte Kugeln, Berge sind nicht symmetrische Kegel, […] Die Entdeckung der fraktalen Geometrie hat es uns mathematisch möglich gemacht, die Unregelmässigkeiten der Natur zu beschreiben.» Ein Baum lässt sich eben schlecht mit Rechtecken und Kreisen beschreiben. Denn ein Baum hat weder eine rechteckige noch eine kreisförmige Form. Von einem Baumstamm geht ein Ast weg, und von diesem Ast verzweigt sich ein kleinerer Ast, und von diesem geht ein noch feinerer Ast weg. So haben wir ein wiederkehrendes Muster und können den Baum mit einem fraktalen Muster beschreiben.

Fraktale sind nicht nur für Mathematiker interessant. Mit Fraktalen konnten zum Beispiel Computergrafiken stark verbessert werden. Da mit meist einfachen mathematischen Formeln fraktale Muster generiert werden können, die natürlich gewachsenen Mustern sehr ähnlich sind, eignen sich Fraktale hervorragend, um realistische Umgebungen und fiktive Landschaften digital zu erschaffen. Mit diesen neuen Möglichkeiten wurde etwa die Filmwelt revolutioniert: So konnte der berühmte genesis effect im Film Star Treck 2: The Wrath of Khan mit verblüffend natürlicher Wirkung digital mithilfe von fraktaler Geometrie erstellt werden.

Ein besonders schönes Fraktal, das Sie ganz leicht selber zeichnen können, geht auf den polnischen Mathematiker Sierpinski (1882–1969) zurück. Zeichnen Sie dazu einen quadratischen «Teppich» mit Seitenlänge 1 auf. Nun dritteln Sie jede Seite, unterteilen den Teppich in 9 identische Quadrate und entfernen das kleine Quadrat in der Mitte (etwa durch Schwarzfärben). Mit jedem der 8 verbleibenden kleinen Quadrate tun Sie nun dasselbe: Sie unterteilen es in jeweils 9 identische Quadrate und entfernen das mittlere Quadrat. Diesen Schritt können Sie theoretisch unendlich oft durchführen. Frage: Wie viel Fläche wird in der ersten Runde weggeschnitten? Wie viel in der zweiten? Wie viel in der dritten? Und wie viel Teppich bleibt «am Ende» übrig, wenn man diesen Prozess unendlich oft fortsetzt?

* Die Gastautorin hat eine Maturarbeit über Fraktale geschrieben. Diese wurde von Armin P. Barth betreut, der für die «Nordwestschweiz» die Kolumne Café Mathe schreibt.

Die Lösung finden Sie auf der Seite «Leben & Wissen» in der Dienstagnummer.