Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
05.03.2013: Bitte verschätzen Sie sich!

WAHRSCHEINLICHKEIT. Mathematik hat viele Vorzüge. Einer besteht darin, Zweifler oder Falschdenkende vom Richtigen überzeugen zu können, indem ein Beweis oder eine Berechnung absolut schlüssige und nachvollziehbare Argumente zur Verfügung stellt, die mEin HIV-Test, ein Brustkrebs-Screening oder eine Doping-Kontrolle ist nie absolut sicher. Weder bei einem negativen noch bei einem positiven Resultat ist der Befund zu hundert Prozent zutreffend. Solche Tests haben eine sogenannte Sensitivität; das ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem HIV-Infizierten oder bei einer Patientin mit Brustkrebs oder einem gedopten Sportler der Test auch wirklich «positiv» anzeigt. Freilich ist diese Wahrscheinlichkeit bei guten Tests sehr hoch, aber eben nie 100%. Und in seltenen Fällen kann ein Test durchaus auch fälschlicherweise «positiv» anzeigen.

Nehmen wir einmal an, dass sich eine Frau einer Mammografie unterzieht und dass die folgenden Angaben durch Studien erhärtet sind: 1. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau eines bestimmten Alters an Brustkrebs leidet, beträgt 0,8%. 2. Die Sensitivität des Tests beträgt 90%. (Mit dieser Chance zeigt der Test also «positiv» an, wenn tatsächlich Brustkrebs vorliegt.) 3. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Test «positiv» anzeigt, wenn kein Brustkrebs vorliegt, ist 5%. Frage: Wenn sich die Frau nun einer Mammografie unterzieht und der Test positiv ausfällt, wie gross ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich unter Brustkrebs leidet? 95%? 90% Weniger? Mehr?

Betrachten wir dazu eine Stichprobe aus 1000 Frauen gleichen Alters, die sich alle demselben Test unterziehen. Bei etwa 8 Frauen (0,8%) erwarten wir tatsächlich Brustkrebs, und bei 7 von diesen 8 Frauen (90%) wird der Test «positiv» anzeigen. Das Problem ist, dass bei 5% von den 992 Frauen, die keinen Brustkrebs haben, also bei etwa 50 Frauen, der Test ebenfalls «positiv» anzeigt.

Insgesamt liefert der Test also 57 positive Befunde, von diesen 57 Frauen leiden aber nur 7 an Brustkrebs. 7 von 57, das sind 12%. Die gesuchte Wahrscheinlichkeit ist also nur 12%! Hätten Sie das geschätzt?

Ärgern Sie sich nicht, falls Sie sich verschätzt haben. Vor wenigen Jahren hat der Psychologe Gerd Gigerenzer solche Fragen auch einer Reihe von Ärzten gestellt, und die grosse Mehrheit schätzte vollkommen falsch. Hier ist eine ähnliche Frage: Ein heute üblicher HIV-Test hat eine Sensitivität von 99,5%. Die Wahrscheinlichkeit für eine HIV-Infektion bei erwachsenen Westeuropäern liegt bei 0,2%. Und die Chance, dass der Test positiv ausfällt, wenn kein HIV vorliegt, ist 0,5%.

Wie gross ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem positiv getesteten Menschen tatsächlich eine HIV-Infektion vorliegt?

Armin P. Barth ist Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Baden und Autor. Die Lösung erscheint mit seiner nächsten Kolumne am 2. April 2013.

Lösung vom 5. Februar 2013: Ein Stein in der zweitobersten Reihe und drei Steine in der untersten Reihe.