Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
08.01.2013: Ein Blick in Gottes Notizbuch

EINE ZARTE schnörkellose Sprache. Ein Erzählfluss wie luftige Seide. Literatur wie ein lieblicher Frühlingstag. So jedenfalls empfand ich die Lektüre des Romans «Das Geheimnis der Eulerschen Formel» der japanischen Schriftstellerin Yoko Ogawa. Die 1962 geborene und mehrfach preisgekrönte Autorin erzählt darin die Geschichte einer Haushälterin und alleinerziehenden Mutter, die eine Anstellung bei einem Mathematiker antritt, einem früheren Hochschulprofessor, der seit einem Autounfall an Gedächtnisverlust leidet: An alles vor dem Unfall kann er sich erinnern, aber alle Eindrücke danach haften lediglich 80 Minuten in seinem Gedächtnis. Keine Minute länger. Nur dank Dutzenden von Notizzetteln, die überall mit Klammern an seiner Kleidung befestigt sind, kann er sich zurecht finden und sich etwa selbst davor bewahren, jeden Morgen von Neuem erstaunt darüber zu sein, dass eine Haushälterin in sein Haus kommt und dass sie einen kleinen Jungen mitbringt, den er Root nennt.

Als er noch in Cambridge geforscht hatte, hatte sich der Professor mit der Artin-Vermutung beschäftigt (die es wirklich gibt), und seither gibt die unumstössliche, nie ins Wanken geratende Welt der Mathematik ihm den einzigen sicheren Halt. Seine Worte werden geradezu zärtlich, wenn er der Haushälterin etwas über Zahlen erzählt. Mathematik zu verstehen, ist für ihn so, als würde man Zeile für Zeile die Wahrheit entziffern, die Gott in seinem Notizbuch vermerkt hat. Besonders angetan haben es ihm die vollkommenen Zahlen.

Diese Zahlen gehen auf die antiken Griechen zurück; Platon erwähnt sie mehrfach in seinem «Staat», und Euklid hat von einem bestimmten Typus von Zahlen nachweisen können, dass sie vollkommen sein müssen. Eine (natürliche) Zahl heisst vollkommen, wenn sie gleich der Summe aller ihrer Teiler ausser der Zahl selbst ist. Beispielsweise ist die Zahl 6 vollkommen, weil sie die Teiler 1, 2 und 3 hat und weil 1+2+3 = 6 ist. Auch die Zahl 28 ist vollkommen, weil sie die Teiler 1, 2, 4, 7 und 14 hat und weil 1+2+4+7+14 = 28 ist. Solche Zahlen sind aber sehr selten: Die nächsten drei vollkommenen Zahlen sind nämlich 496, 8128 und 33 550 336. Alle heute bekannten vollkommenen Zahlen sind gerade, man weiss aber nicht, ob es auch ungerade gibt. Die geraden dagegen sind genau charakterisiert, das heisst, man weiss genau, von welcher Form sie sein müssen, allerdings nicht, ob es unendlich viele davon gibt.

Um Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, herauszufordern, führen wir hier einen noch exquisiteren Zahl-Typ ein: Wir wollen eine natürliche Zahl einzigartig nennen, wenn sowohl ihre Anzahl Teiler (inklusive die Zahl selbst) als auch ihre Teilersumme vollkommen ist. Die Zahl 10 zum Beispiel ist nicht einzigartig, weil sie 4 Teiler hat (1, 2, 5, 10) und deren Summe 18 ist und weil weder 4 noch 18 vollkommen sind. Ich verrate Ihnen aber, dass es eine relativ kleine einzigartige Zahl gibt. Können Sie sie finden?

Die Lösung erscheint mit der nächsten Kolumne am 5. Februar.

Lösung vom 4. Dezember 2012: K=8, L=12, G=5. Wegen 12-8=4 und G›4 muss es also eine Gewinnstrategie geben.