Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
04.12.2012: Der vorweihnachtliche Guetzli-Handel

MANCHMAL STELLEN LEUTE die provokative Frage, was man denn eigentlich in der Mathematik noch forsche, seit Pythagoras sei ja im Wesentlichen alles bekannt!? Diese Leute übersehen, dass seit Pythagoras das mathematische Wissen in überwältigender Weise angeschwollen ist und jährlich Tausende neuer Sätze dazukommen, von denen viele ganz praktische Anwendungen haben oder haben werden. Freilich gibt es auch Leute, die mit mathematischen Problemen nichts zu tun haben wollen, wie etwa die Inschrift bezeugt, die man auf einer Schulbank in Berlin- Staaken gefunden hat: «Liebe Mathematik. Ich bin kein Therapeut! Löse Deine Probleme bitte alleine!»

Falls Sie mathematische Probleme mögen und sich zudem mit einem Problem beschäftigen wollen, das ganz neu ist, dann wird Ihnen das folgende Spiel bestimmt gefallen. Es eignet sich vorzüglich als vorweihnachtliches Kinderspiel. Nehmen wir an, es seien vier Kinder zusammen (die Kreise in der Abbildung links). Jedes hat eine gewisse Anzahl Guetzli (die Zahlen in den Kreisen), wobei diese Anzahl aber auch 0 oder gar negativ sein kann. Die Kinder, die mit einem anderen Kind durch eine Linie direkt verbunden sind, heissen Nachbarn. Nun geht es darum, mit einigen Schritten die überaus wünschenswerte Situation zu erreichen, dass alle Kinder dieselbe Anzahl Guetzli haben. Welche Schritte sind erlaubt?

Zum einen darf ein Kind jedem seiner Nachbarn je eines seiner Guetzli schenken, auch wenn seine eigene Zahl dadurch negativ wird. Zum anderen darf sich ein Kind von jedem seiner Nachbarn je ein Guetzli rauben. Nur solche Schritte sind erlaubt, und natürlich immer nur ein Schritt aufs Mal. Kann die gewünschte Situation in der Abbildung links erreicht werden?

Nein, dort geht es leider nicht. Am Ende müsste ja jedes Kind 0 Guetzli haben. Zu Beginn haben das Kind unten links und das Kind oben rechts – nennen wir sie Alice und Bob – dieselbe Anzahl, und jedes Mal, wenn eines der anderen Kinder einen Zug macht, werden die Anzahlen von Alice und Bob gleichermassen verändert. Damit Alice und Bob auch am Schluss dieselbe Anzahl (nämlich 0) haben, müssen sie beide dieselbe Anzahl Züge ausführen. Dadurch sind die Anzahlen der beiden anderen Kinder am Ende aber sicher ungerade und können folglich nicht auch 0 werden. Geht es wenigstes in der Abbildung rechts mit acht Kindern? Im Jahr 2006 haben Matthew Baker und Serguei Norine von der Cornell University Folgendes beweisen können: Wenn K die Anzahl Kinder und L die Anzahl Linien und G die gesamte Anzahl Guetzli im Spiel ist, und wenn G grösser ist als L - K, dann gibt es immer eine Strategie, die zu der gewünschten Endsituation führt. Man muss sie nur finden. In allen anderen Fällen weiss man noch nichts Verlässliches, da kann es sowohl Spiele mit als auch Spiele ohne Gewinnstrategie geben. Das könnte also noch immer Gegenstand von Forschung sein. Fragen: Wie gross sind denn K, L und G in der Abbildung rechts? Muss es also eine zielführende Strategie geben? Und wie könnte diese aussehen? Viel Spass beim Nachdenken und ganz schöne Weihnachten!

Die Lösung erscheint mit seiner nächsten Kolumne am 8. Januar 2013.

Lösung vom 6. November 12: Maximaler Fluss: Stärke 6