Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
06.03.2012: Albert Einstein und die Freude am Verstehen

DER GROSSE französische Mathematiker Jules Henri Poincaré (1854–1912) sprach einmal von der Freude am Verstehen, und Albert Einstein meinte, dass vor allem in dieser Freude der Wissenschafter seine Belohnung finde. In der Tat kann es grosse Freude und Befriedigung in uns hervorrufen, wenn wir einem Problem wirklich auf den Grund gegangen sind und die Lösung in allen Details verstanden haben.

Mal sehen, ob das folgende Problem und seine Lösung in Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, die Freude am Verstehen weckt. Eine Schnecke «betritt » ein gewöhnliches Schachbrett aus 8 mal 8 Feldern in der Ecke unten links. Aus irgendeinem Grund hat es sich die Schnecke in den Kopf gesetzt, so über das Brett zu kriechen, dass sie jedes Feld genau einmal besucht, um dann am Ende das Brett über die Ecke oben rechts wieder zu verlassen. Dabei will sie aber von einem Feld zum nächsten immer nur horizontal oder vertikal, nie aber diagonal kriechen. Wie könnte ihre Kriechspur aussehen?

Beim Versuch, diesen Plan zu verwirklichen, würde die Schnecke wohl verzweifeln, denn eine solche Wanderung kann es nicht geben. Um den Bedingungen zu genügen, müssten sich auf der Wanderung die Felderfarben nämlich abwechseln: schwarz, weiss, schwarz, weiss, schwarz, weiss, … Da aber das erste Feld schwarz ist und die Reise aus 64 – also einer geraden Anzahl – Feldern besteht, kann das letzte Feld unmöglich auch schwarz sein. Das letzte Feld der Schneckentour müsste weiss sein, und damit kommt das Feld oben rechts nicht infrage. Die Schnecke würde sich wohl nach unzähligen erfolglosen Versuchen erschöpft und entmutigt in ihr Haus zurückziehen.

Beim folgenden Problem müssten Sie, um die Freude am Verstehen zu empfinden, selber eine Lösung erarbeiten: Wir betrachten eine Art Schachbrettboden aus 6 mal 6 Feldern (siehe Abbildung). Dieser Boden soll mit 18 Fliesen belegen werden, von denen jede genau zwei Felder bedeckt. Der Fliesenleger, der mit diesem Auftrag betreut wurde, hat eine Arbeit abgeliefert, die dem Auftraggeber nicht gefällt. Dieser findet nämlich eine ganze durchgezogene Linie, die von keiner einzigen Fliese unterbrochen wird, optisch nicht ansprechend. (Die Abbildung zeigt eine solche durchgehende Linie.) Bei 6 mal 6 Feldern gibt es 10 solcher Linien, 5 horizontale und 5 vertikale, und der Auftraggeber möchte doch gerne, dass jede einzelne dieser Linien wenigstens einmal von einer Fliese unterbrochen wird. Bei neun Linien hat der Fliesenleger es ja geschafft, aber die eine durchgehende Linie müsste nun auch noch vermieden werden.

Können Sie die 18 Fliesen so anordnen, dass jede einzelne horizontale und vertikale Linie mindestens einmal von einer Fliese unterbrochen wird?

Lösung vom 6. März 2012: 55.