Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
11.10.2011: Ein ganz besonderes langes Loch

Circa 530 v. Chr. baute Eupalinos im Auftrag des Tyrannen Polykrates eine Wasserleitung quer durch den Berg Kastro auf der Insel Samos. 1882 fanden die Entdecker den Tunnel fast unversehrt und genau so, wie der Geschichtsschreiber Herodot ihn beschrieben hatte. Der 1036 Meter lange und je 2 Meter hohe und breite Tunnel ist heuet eine Touristenattraktion. Was aber ist so besonders an dem „langen Loch“?

Besonders ist, dass der Tunnel, ebenso wie der über 2000 Jahre später gegrabene Tunnel zwischen England und Frankreich, von zwei Seiten her vorangetrieben wurde. Die beiden Teams trafen ungefähr in der Mitte aufeinander und zwar mit einer Genauigkeit, die angesichts der primitiven Technik der damaligen Zeit verblüfft.

Niemand weiss genau, wie Eupalinos dieses Kunststück vollbrachte. Eine (allerdings nicht unumstrittene) Theorie stammt von Heron und verwendet ähnliche Dreiecke. Zwei Dreiecke heissen ähnlich, wenn das eine aus dem anderen hervorgeht allein nur durch Verschiebung, Drehung, Spiegelung und Streckung/Stauchung. Denken wir uns dazu ein Dreieck auf ein Stück Leinwand gemalt und an die Wand gehängt. Wenn wir das Bild an eine andere Stelle der Wand hängen oder schief hinhängen oder verkehrt herum, dann bleibt das Dreieck immer ähnlich – ja sogar deckungsgleich – zum Dreieck an der ursprünglichen Position. Wenn die Leinwand dehnbar ist und wir mitten im Dreieck einen Nagel durch die Leinwand in die Wand rammen und dann die Leinwand gleichmässig an allen Seiten nach aussen ziehen, dann verändert das Dreieck zwar seine Grösse, bleibt aber immer ähnlich zum ursprünglichen; die Winkel bleiben immer gleich und die Seitenverhältnisse auch.

Diese simple Idee soll Eupalinos benutzt haben. Wenn P und W die beiden Tunneleingänge bezeichnen, dann zog er einen Pfad PQRSTUVW um den Berg herum mit stets rechtwinklig zueinander verlaufenden Strecken. Subtrahierte er nun die Längen aller westwärts verlaufenden Strecken (QR und ST) von der Länge des ostwärts verlaufenden Weges (UV), so erhielt er die Länge von PX. Und analog berechnete er die Länge von XW aus den nord- und südwärts verlaufenden Strecken. Damit war das unzugängliche Dreieck PXW berechnet, und man konnte leicht zwei dazu ähnliche Dreiecke an den beiden Eingängen konstruieren, um damit die beiden Vortriebrichtungen zu gewinnen. Einfach und elegant, nicht wahr!?

Übrigens: Faltet man ein rechteckiges Blatt so, dass die längeren Seiten halbiert werden, so entsteht wieder ein Rechteck. Im welchem Verhältnis stehen die Seiten des ursprünglichen Rechtecks, wenn das neue zum alten Rechteck ähnlich sein soll?

Lösung vom 6. September 2011: Der Logarithmus der Zahl liefert die Anzahl Stellen, in diesem Fall 6644 Stellen.