Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
05.07.2011:Die Rechnung, bitte!

«DIE RECHNUNG, BITTE!» Ich war so sehr in meine Arbeit vertieft, dass ich erst gar nicht begriff, dass diese Aussage an mich gerichtet war. Ich sass im Café Mathe an einem runden Tischchen, vor mir eine halb ausgetrunkene Tasse Kaffee und ein Teller, auf dem Krümel meine Vorliebe für Schokoladenkuchen verrieten. Dazwischen lagen einige Bogen Papier, die ich vollgekritzelt hatte. «Die Rechnung, bitte!» Erst, als ich die Aufforderung zum zweiten Mal vernahm, sah ich von den Blättern hoch. Vor mir, leicht vornüber gebeugt, stand der Kellner und starrte aus weit aufgerissenen, verquollenen Augen auf mich herunter.

Die Rechnung wird üblicherweise vom Kunden verlangt, nicht vom Kellner. Es war widersinnig, dass ich dem Kellner die Rechnung präsentieren sollte für eine Leistung, die er erbracht hatte. Ich war verwirrt.

Glücklicherweise beseitigte der Kellner meine Befürchtung schnell, plötzlich in eine völlig verdrehte Welt geraten zu sein: Die zahlreichen Formeln auf meinen Papieren hatten ihm verraten, dass ich Mathematiker war, und da er selber unter einem mathematischen Problem litt, für dessen Lösung er die Rechnung nicht zu finden vermochte, hoffte er, dass ich ihm die ersehnte Rechnung liefern würde. Das Problem beschäftigte ihn seit Tagen und liess ihn auch während der Nacht nicht mehr los, so dass er kaum noch schlafen konnte. In unserem weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass er die Brüche 1/1, 1/2, 1/3, 1/4, 1/5, 1/6 … fortlaufend aufaddieren sollte, bis die Summe zum ersten Mal eine ganze Zahl ergibt, und die Frage bestand darin, wie viele dieser Brüche dazu nötig sind. Er hatte schon Hunderte von Brüchen addiert, aber die Summe hatte sich bisher standhaft geweigert, ganzzahlig zu werden. Ich versprach ihm ein Ende seines Leidens. Dann präsentierte ich ihm die Rechnung (siehe Abbildung) und wies ihn auf folgenden Sachverhalt hin: Die Nenner der Brüche auf der rechten Seite sind immer gerade Zahlen, weil mindestens ein Faktor 2 in ihnen steckt. Die Zähler aber enthalten neben vielen geraden Zahlen immer genau eine ungerade, nämlich die eingerahmte, und deswegen müssen alle Zähler ungerade sein. Dividiert man aber eine ungerade durch eine gerade Zahl, kann das niemals aufgehen. Deshalb ist das Problem unlösbar.

Erleichterung zeigte sich nur zögerlich auf seinem Gesicht. Es sei ihm klar, dass der Nenner immer gerade sein müsse, weshalb aber der Zähler immer genau einen ungeraden Summanden enthalte, das verstehe er noch nicht. Können Sie dem armen Kellner helfen?

Lösung vom 7. Juni 2011: 4 Stunden.