Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
05.04.2011: Papierfalten – ein mathematisches Problem

EIN VERBLÜFFENDER Aspekt der Mathematik ist, dass sie in immer neue Gebiete vordringt und ihren Katalog an Methoden beständig erweitert; längst hat sie Werkzeuge entwickelt, die weit über den klassischen Schulstoff hinausgehen und die in Schulen leider viel zu selten vermittelt werden. Origami ist hierfür ein gutes Beispiel.

Die Papierfaltkunst hat in Japan, aber auch in Deutschland, Spanien und Argentinien eine lange Tradition, und sie hatte ursprünglich nichts mit Mathematik zu tun. In der Edo-Epoche (Japan, 1603–1868) wurden kaiserliche Erlasse kunstvoll gefaltet, um sie als solche zu kennzeichnen. Der deutsche Pädagoge Friedrich Fröbel, der Erfinder des Kindergartens, schlug Papierfalten als kluge Beschäftigung für Kinder vor, und noch heute schmückt der kunstvoll gefaltete Fröbelstern so manchen Weihnachtsbaum.

Mathematisiert wurde Origami erst ab etwa 1990. Seither löst die Mathematik auf vielfältige und beeindruckende Weise das Problem, wie ein Objekt (etwa für den Transport) klein zusammengefaltet werden kann, um sich dann am Zielort gemäss seiner Bestimmung zu entfalten. 1999 produzierten Ingenieure erstmals Airbags, die mit Origami-Mathematik zusammengefaltet wurden. 2003 berechneten Forscher in Oxford, wie Stents gefaltet werden müssen, damit sie durch die Blutgefässe zu der verengten Stelle transportiert und dort aufgespannt werden können. Seit wenigen Jahren verfolgen amerikanische Forscher das Projekt, eine Linse in der Grösse eines Fussballfelds so zu falten, dass sie im Laderaum einer Rakete in den Orbit gebracht und dort entfaltet werden kann.

Der 1981 geborene Mathematiker Erik Demaine hat die Mathematik um einen besonders schönen Satz zum Thema Papierfalten bereichert. Er hat nachgewiesen, dass (fast) jeder Scherenschnitt mit nur einem einzigen geradlinigen Schnitt hergestellt werden kann. Egal, welche Form der Scherenschnitt am Ende haben soll, es ist immer möglich, das Papier so raffiniert zu falten, dass ein einziger Schnitt mit der Schere genügt, um nach dem Entfalten das gewünschte Bild zu erzeugen.

Auf wie viele Arten kann man die drei abgebildeten Briefmarken entlang der perforierten Linien zusammenfalten, ohne sie auseinanderzureissen? Das ist ganz einfach: Jede der drei Marken kann am Ende oben sein, und jedes Mal gibt es zwei Möglichkeiten, die beiden anderen Marken darunter zu falten. Es gibt also 2 × 3 = 6 verschiedene Möglichkeiten. Interessanterweise gibt es bis heute keine Formel, die die Anzahl Möglichkeiten bei mehr als 3 Marken in einer Reihe liefert. In der Mathematik ist es oftmals sehr leicht, wirklich schwierige Fragen zu stellen. Die Frage nach einer solchen Formel wäre also, obwohl faszinierend, viel zu schwierig. Nicht zu schwierig aber ist die Frage, wie viele Faltvarianten es bei 4 Marken in einer Reihe gibt! Können Sie das beantworten?

Lösung von 8. März 2011: 6/5