Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
15.12.2009: Welche Fläche hat der Stern von Betlehem?

Stern

DIE FIRMA KNUSPER & CO., deren Gebäck sich im ganzen Land grosser Beliebtheit erfreut, plant, jeweils im Dezember ein neues Produkt mit Bezug auf das Weihnachtsfest herauszugeben: den «Stern von Betlehem» in Form eines Kometen. Bei den Produktentwicklern setzt sich schliesslich die hier abgebildete Form durch, eingezeichnet in ein Gitter, dessen Quadrätchen 1 Zentimeter auf 1 Zentimeter messen.

In der Diskussion taucht die Frage auf, welchen Flächeninhalt der süsse Komet eigentlich hat, eine Frage, die unbedingt beantwortet werden muss, damit der Produktpreis und die Mengenangaben für das Rezept richtig berechnet werden können. Dummerweise weiss niemand bei Knusper & Co., wie die Fläche einer so komplizierten Figur zu berechnen ist. So wird der Beschluss gefasst, eine mathematisch ausgebildete Person zu suchen, die in dieser Sache weiterhelfen kann. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich berufen fühlen, so sollten sie nun keinesfalls weiterlesen, sondern selbstständig eine Lösung für Knusper & Co. ausarbeiten.

Der letzte Lebensabschnitt des Mathematikers Georg Alexander Pick war alles andere als glücklich. Er verbrachte ihn im Konzentrationslager Theresienstadt in der Nähe von Prag, wo er, immerhin als alter Mann, 1943 starb. Pick entdeckte eine Formel, die, hätten die Leute von Knusper & Co. Kenntnis von ihr, das Problem sofort lösen würde. Sie besagt, dass man, um die Fläche irgendeines Vielecks zu bestimmen, lediglich Gitterpunkte zu zählen braucht. Gitterpunkte sind diejenigen Punkte, in denen sich zwei Gitterlinien kreuzen. Offenbar gibt es Gitterpunkte, die ausserhalb der Figur, und solche, die ganz im Inneren liegen, und überdies solche, die genau auf der Umfangslinie der Figur (die fett gedruckten Punkte der Abbildung) liegen. Bezeichnet I die Anzahl Gitterpunkte im Inneren der Figur und U die Anzahl Gitterpunkte auf der Umfangslinie, so ist der Flächeninhalt der Figur gleich I + U/2 – 1.

Das ist eine tolle Formel. Ein Förster in Oregon soll sie dazu benutzt haben, die Grösse seines Waldes zu berechnen. Dazu musste er lediglich eine Landkarte seines Waldgebietes auf ein Gitter übertragen und Punkte zählen und dann entsprechend dem Kartenmassstab hochrechnen. Mit derselben Methode könnte man aus Luftaufnahmen grosser Menschenansammlungen abschätzen, wie viele Menschen daran beteiligt waren. Und die Verantwortlichen von Knusper & Co. könnten ganz leicht nachprüfen, dass I = 34 und U = 20 und die Fläche somit gleich 34 + 10 – 1 = 43 Quadtratzentimeter beträgt. Natürlich könnte man die Fläche auch ganz anders bestimmen: indem man die Figur in so genannte primitive Dreiecke unterteilt. Das sind Dreiecke, für die I = 0 und U = 3 gilt, die also keinen Gitterpunkt im Inneren und ausser den drei Eckpunkten auch keinen auf der Umfangslinie besitzen. Unterhalb des Kometen sind drei Beispiele abgebildet. Wenn man herausfinden könnte, wie gross der Flächeninhalt solcher Dreiecke ist, dann wäre den Leuten von Knusper & Co. schon enorm geholfen.

Lösung der Kolumne vom 17. November: Wenn wir mit G Gift und mit W Wein abkürzen, dann ist die Reihenfolge der 7 Flaschen von links nach rechts: GWGVGWH.