Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
13.10.2009: Die Anfänge der Geometrie

NICHT ZUFÄLLIG entstanden die ersten menschlichen Hochkulturen an den Gestaden grosser Flüsse. Die Flüsse lieferten die unverzichtbare Fruchtbarkeit und waren Lebensnerv für die neuen Gemeinschaften. Die Schwemmlandebenen beidseits des Nil, das fruchtbare Delta zwischen Euphrat und Tigris und die Stromtäler des Indus, des Ganges, des Huangho und des Jangtse sahen die ersten staatähnlichen Zusammenschlüsse und die ersten kulturellen Errungenschaften der Menschheit, und ebendort nahm auch die Mathematik ihren Anfang und insbesondere die Geometrie.

FÜR SEHR LANGE ZEIT war die Geometrie rein praktischer Natur; es galt, mit ihr alltägliche Aufgaben zu bewältigen. Herodot erwähnt, dass in Ägypten die Grenzen der periodisch überschwemmten Landstücke immer wieder neu vermessen werden mussten, wofür zweifellos Kenntnisse in Geometrie nötig sind. Vielleicht entstand das Wort «Geometrie » gerade wegen dieser Anwendung, bedeutet doch das aus dem Griechischen stammende Wort etwa «Erdmass» oder «Landmessung». Andere praktische Aufgaben, die Geometrie nötig machten, waren der Bau komplizierter Bewässerungssysteme, architektonische Herausforderungen, die Errichtung der Pyramiden und später die ersten Forschungen in Astronomie.

DIE GRIECHEN GABEN der Geometrie jedoch eine ganz neue Richtung. Sie wurde während der Blüte der griechischen Wissenschaft, zwischen 500 und 300 v. Chr., zu einer beweisenden Wissenschaft umgebaut, die nicht primär nach Anwendbarkeit, sondern nach Erkenntnisgewinn fragt. In dieser Zeit entstand das berühmte Werk von Euklid, das mit seinem streng deduktiven Aufbau Massstäbe setzte und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an den meisten Gymnasien als Lehrmittel verwendet wurde – obwohl es dafür eigentlich viel zu schwierig ist. In dieser Zeit wurde (von einem Pythagoräer) zum ersten Mal der Satz des Pythagoras bewiesen, der aber schon Jahrhunderte vor Pythagoras bekannt gewesen war. In dieser Zeit verwehrte Plato jedem «Nichtgeometer» den Zutritt zu seiner Akademie, weil die Beschäftigung mit Geometrie für ihn Einblicke in das Reich der Ideen ermöglichte, von denen sein Höhlengleichnis so eindringlich spricht. In dieser Zeit wurden all die berühmten geometrischen Sätze bewiesen, die bis zum heutigen Tag an den Schulen gelehrt werden.

MÖCHTEN SIE IHRE Geometriekenntnisse auffrischen? Bitte schön, hier ist eine Aufgabe, die auf ganz unterschiedliche Arten (aber auch allein mit Pythagoras) gelöst werden kann: Ein 10 × 20 cm grosser Geldschein wird so gefaltet wie in der Abbildung. Wie lang ist die Faltkante x?

Lösung der Kolumne vom 15. September: Die grösstmögliche Zahl auf einem Zettel ist 49. Wenn alle Zahlen verschieden wären, müssten auf den 50 Zetteln genau die Zahlen 0, 1, 2, ... , 49 stehen. Dann müsste also jemand mit allen 49 anderen Personen befreundet sein. Dann dürfte es aber niemanden geben, der mit 0 Personen befreundet ist. Widerspruch!