Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
15.09.2009: Party mit Widersprüchen

WÜRDE MAN nach Bereichen suchen, zu denen die Mathematik eine Verwandtschaft oder eine befruchtende Nähe aufweist, so würden einem wohl bald die Natur- und Ingenieurwissenschaften in den Sinn kommen, auf die Welt des Theaters käme man wohl eher nicht. Immerhin gibt es einige wenige Theaterstücke, die die Mathematik zum Thema haben, «Kalkül» etwa von Carl Djerassi, dem Vater der Antibabypille, oder «Der Beweis», ein vor wenigen Jahren verfilmtes Meisterwerk von David Auburn. Hier folgt ein winziges mathematisches Theaterstück, eine einzige, kleine Szene nur, aber sie illustriert eine Vorgehensweise, die in der Mathematik überaus häufig und sehr erfolgreich ist:

Ein Patient kommt zum Psychiater.
Patient: Ah, Herr Doktor, Sie müssen mir helfen. Ich bin tot!
Psychiater: Da kann ich Sie beruhigen, wenn Sie wirklich tot wären, dann wären Sie ja wohl nicht hier.
Patient: Das bin ich auch nicht. Ich bin ja schliesslich tot! Töter. Mausetot!
Psychiater: Na gut. Dann will ich Ihnen helfen. Ich kann leicht beweisen, dass Sie nicht tot sind. Zuerst muss ich Sie aber etwas fragen: Sind Sie einverstanden, dass tote Menschen nicht bluten?
Patient: Ja, klar, das weiss doch jedes Kind. Tote bluten nicht mehr.
Psychiater: Okay. Ich beweise nun, dass Sie nicht tot sind. Lassen Sie uns dazu annehmen, Sie wären doch tot.
Patient: Das stimmt ja auch.
Psychiater: Dann dürften Sie also nicht bluten, nicht wahr?
Der Psychiater holt eine Nadel hervor und sticht den Patienten in den Finger. Dieser blutet.
Patient: (ganz verblüfft) Nanu, ich blute!
Psychiater: Sehen Sie, damit haben wir einen Widerspruch. Da Sie bluten, können Sie nicht tot sein. Das widerspricht der Annahme, Sie wären doch tot. Somit ist bewiesen, dass Sie nicht tot sind.
Patient: Nun gut, Sie haben mich überzeugt. Tote bluten offenbar doch.

Im Kern zeigt diese Szene ein Argument, das hundertfach in mathematischen Beweisen benutzt wird: Man nimmt das Gegenteil dessen an, was man eigentlich einsehen will, und zeigt dann durch präzises Schlussfolgern, dass diese Gegenannahme unmöglich zutreffen kann, weil sie zu einem Widerspruch führen würde. Man beweist also, dass die Negation dessen, was man als wahr vermutet, nicht wahr sein kann. Und wenn das Gegenteil einer Aussage nicht zutreffen kann, so muss die Aussage wohl selber zutreffen.

Wollen Sie diese Beweisart selber probieren? Bitte schön!

An einer Party treffen 50 Personen zusammen. Jeder notiert sich auf einen Zettel, wie viele der Anwesenden zu seinem Freundeskreis zählen. Beweisen Sie, dass es sicher mindestens zwei Personen gibt, die die gleiche Zahl notieren. Wäre das nicht so, müssten alle notierten Zahlen unterschiedlich sein.

Lösung der Kolumne vom 18. August 2009: Alice muss ihre Hütte im Schwerpunkt des Dreiecks bauen. Bob kann sie irgendwo bauen, weil die Summe der Längen der kürzesten Wege zu den Seiten an jedem Punkt gleich ist.