Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
21.07.2009: Ein kleiner Trick eines grossen Fuchses

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ALS CARL FRIEDRICH Gauss am 23. Februar 1855 starb, liess der König von Hannover eine Gedenkmünze prägen, auf der er ihn den «Fürsten der Mathematiker » nannte. Eine solche Ehre wird nur wenigen zuteil, und sie ist mehr als verdient angesichts der ungeheuren Weite und Tiefe seines Schaffens. Von zahlreichen Entdeckungen von Gauss profitieren wir noch heute. Der Nachwelt machte es Gauss allerdings nicht leicht: Stets auf Perfektion bedacht, machte er einen Beweis erst dann öffentlich, wenn er die Form eines vollendeten Kunstwerks angenommen hatte; es war dann kaum mehr möglich, nachzuvollziehen, wie Gauss darauf gekommen war. Ein Leser beklagte sich einmal, Gauss mache es wie der Fuchs, der seine Spuren im Sand mit dem Schwanz auslösche.

VÖLLIG KLAR und deutlich lesbar liegt die Spur zu einem kleinen Trick vor uns, den Gauss schon als Knabe in der Schule entdeckt haben soll. Der Lehrer soll der Klasse die Aufgabe gestellt haben, alle (natürlichen) Zahlen von 1 bis 100 zu addieren. Das ist ganz schön mühsam, wenn man einfach bei 1 anfängt und dann der Reihe nach die Zahlen 2, 3, 4 . . . dazuzählt, bis man 100 erreicht. Der kleine Gauss aber soll in Windeseile das Resultat 5050 präsentiert und sich damit einen schroffen Tadel des Lehrers eingehandelt haben, obwohl dieser doch allen Grund gehabt hätte, den Knaben zu loben. Gauss hatte entdeckt, dass es sehr viel einfacher ist, wenn man die Zahlen nicht in ihrer natürlichen Reihenfolge addiert. Stattdessen addierte er 1 zu 100, dann 2 zu 99, dann 3 zu 98, dann 4 zu 97, und so weiter, und erhielt jedes Mal 101. Bei 100 Zahlen lassen sich 50 solche Paare bilden, also ergibt die gesuchte Summe 50×101, und das ist 5050.

DIESE EINFACHE, aber glänzende Idee findet auch heute zahlreiche Anwendungen. Nehmen wir etwa an, jemand kaufe eine Liegenschaft und speise einen Reparaturfonds mit 2000 Franken im ersten Jahr. Annehmend, dass die Reparaturen mit zunehmendem Alter der Liegenschaft wohl immer ein wenig häufiger werden dürften, plant unser Käufer, dem Reparaturfonds jährlich 200 Franken mehr zufliessen zu lassen, also 2200 Franken im zweiten Jahr, 2400 Franken im dritten Jahr und so weiter. Welchen Gesamtbetrag muss er für die ersten 20 Jahre einplanen? Offenbar müssen wir die Zahlen 2000, 2200, 2400 . . . 5800 addieren. Und das gelingt mit Gauss’ kleinem Trick vorzüglich: Von beiden Flanken her addiert erhalten wir immer Paare des Wertes 7800. Da es bei zwanzig Zahlen zehn solche Paare gibt, muss der Gesamtbetrag 78 000 Franken eingeplant werden.

VIELLEICHT WOLLEN SIE, liebe Leserinnen und Leser, dem schlauen Fuchs nacheifern. Bitte schön, hier ist eine Gelegenheit dazu: Die Abbildung zeigt ein Hochhaus, das in der Form eines Dreiecks gebaut wurde. Zuoberst ist nur eine Wohnung, die Nummer 1. Auf der zweitobersten Etage sind zwei Wohnungen, die Nummern 2 und 3, und nach unten muss man sich das Hochhaus entsprechend erweitert vorstellen. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass der Bewohner der Wohnung 2009 sich sehr über den Lärm des direkt über ihm wohnenden Nachbarn beklagt. Welche Nummer hat die Wohnung des lauten Nachbarn?