Café Mathe - eine Kolumne in der Aargauer Zeitung
03.02.2009: «Nun bild’ ich ein Viereck aus dem Kreis»

Kürzlich schrieb ein Journalist, im Gazastreifen einen dauerhaften Frieden herzustellen, käme wohl der Quadratur des Kreises gleich. Und ein Moderator einer TV-Spielsendung sagte zu einem Mitspieler, nachdem dieser wider Erwarten eine sehr schwierige Aufgabe gemeistert hatte, jetzt sei ihm die Quadratur des Kreises geglückt. Beide meinen das Gleiche, beide erinnern an eines der hartnäckigsten und berühmtesten Probleme der Mathematik – und wenigstens einer von beiden hat unrecht.

Stellen Sie sich vor, jemand würde Sie in einen Raum sperren. Darin fänden Sie nur einen Tisch, darauf einen Zirkel, ein Lineal und ein Blatt Papier, auf dem ein Kreis abgebildet wäre. Und Sie dürften den Raum erst wieder verlassen, wenn es Ihnen gelungen wäre, ein Quadrat zu konstruieren, das exakt (also nicht nur näherungsweise) den gleichen Flächeninhalt hätte wie der vorgegebene Kreis. Rechnen dürften (und könnten) Sie dabei gar nichts. Diese Aufgabe nennt man Quadratur des Kreises (oder des Zirkels). Und derjenige, der Sie einsperrte, müsste ein besonders abscheulicher Mensch sein – oder er wüsste sehr wenig über Mathematik. Denn Sie würden den Raum ganz sicher nicht lebend verlassen.

Das Problem tauchte erstmals etwa 500 v. Chr. im antiken Griechenland auf. Die ersten Mathematiker, die diesen Namen verdienen, hatten die Grundlagen der Geometrie erschaffen und dabei immer wieder Figuren in andere umgewandelt. Zum Beispiel gelang es ihnen, konstruktiv ein Rechteck in ein flächengleiches Quadrat umzuwandeln, und das Gleiche gelang ihnen auch für Dreiecke und Fünfecke und Sechsecke usw. Die Mathematik war damals sehr geometrisch, und so widmete man den Konstruktionen viel Aufmerksamkeit. Es lag nahe, sich auch an den Kreis zu wagen; wenn man rein konstruktiv ein Vieleck in ein flächengleiches Quadrat umwandeln kann, weshalb sollte das nicht auch mit einem Kreis gelingen?

Schon bald geschah etwas, was bei mathematischen Problemen selten der Fall ist: Die Aufgabe wurde äusserst populär. Wissend, dass die breite Bevölkerung es verstehen und darüber lachen würde, baute der griechische Komödiendichter Aristophanes in «Die Vögel» einen Hinweis auf die Quadratur des Kreises ein, indem er Meton sagen liess: «Nun leg’ ich an das Lineal und bild’ ein Viereck aus dem Kreis . . .» Und die Popularität hielt an bis zum heutigen Tag. Dante benutzte die Quadratur des Kreises in seinem «Paradiso», und der Maler Albrecht Dürer gab 1525 eine Näherungskonstruktion an und schrieb dazu: «Vonnöten wäre zu wissen Quadratura circuli, das ist die Gleichheit eines Zirkels und eines Quadrates, also dass eines ebenso viel Inhalt hätte als das andere. Aber solches ist noch nicht von den Gelehrten demonstriert. » Thomas Mann schrieb im «Zauberberg»: «Die Beschäftigung mit Mathematik, sage ich, ist das beste Mittel gegen die Kupidität. Staatsanwalt Paravant, der stark angefochten war, hat sich darauf geworfen, er hat es jetzt mit der Quadratur des Kreises und spürt grosse Erleichterung.»

Unzählige Mathematiker versuchten sich an dem Problem und blieben erfolglos, obwohl als Nebenprodukt der Forschung sehr viel Nützliches abfiel. Und erst das Jahr 1882 brachte endgültige Klarheit: Ein Mathematiker namens Lindemann bewies, dass das Problem prinzipiell unlösbar ist. Laien wundern sich immer wieder darüber, dass die Mathematik die Unlösbarkeit gewisser Aufgaben streng beweisen kann. Unmöglichkeitsbeweise gehören sicher zum Faszinierendsten dieser Wissenschaft; genau besehen ist im vorliegenden Fall die Unlösbarkeit aber nicht sehr erstaunlich. Dass Einschränkungen bei den einzusetzenden Mitteln Auswirkungen darauf haben, was mit diesen Mitteln erreichbar ist, ist leicht nachvollziehbar. Niemand würde sich darüber wundern, dass man mit einem Lineal allein keinen Kreis konstruieren kann, und genau so – nur komplexer – verhält es sich mit der hier besprochenen Konstruktion: Die Mittel (Zirkel und Lineal) reichen nicht aus, um all das zu konstruieren, was man naiverweise als konstruierbar einstufen würde. Aus einem gegebenen Kreis beispielsweise kann allein mit diesen Mitteln beim besten Willen kein flächengleiches Quadrat hergestellt werden.

Woran liegt es, dass es nicht gelingen kann? Es liegt vor allem an der Kreiszahl Pi = 3,14159265… Ein Kreis mit Radius 1 hat Flächeninhalt Pi; daher müsste die Seitenlänge des Quadrats die Quadratwurzel aus Pi sein. Die Wurzel ist aber nicht das Problem, das Problem ist vielmehr die Zahl Pi. Lindemann bewies nämlich, dass Pi «transzendent» ist, das heisst, dass diese Zahl auf keine Art und Weise aus den natürlichen Zahlen hervorgehen kann durch irgendeine Kombination der Operationen +, –, ×, :, Potenzierung und Radizierung. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal aber können niemals transzendente Zahlen liefern. Daher ist die Quadratur des Kreises nicht nur sehr schwierig, sondern in der Tat unmöglich. Verständlich also, dass das Problem oftmals dann zitiert wird, wenn jemand vor einem ganz und gar unüberwindlichen Hindernis steht. Und deshalb hatte der Moderator unrecht: Eine gelöste Aufgabe kann niemals die Quadratur des Kreises sein.